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Freitag, 7. April 2023

Lissabon 2021 - Eine andere Welt

Die Geschichte beginnt mit viel Elend und zeigt auch Abgründe der Gesellschaft auf, die aus Mißverständnissen und der Chancenlosigkeit der Einen gegenüber den Anderen herrührt. Wie so oft wurden den Armen Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden konnten und im Endeffekt nur dazu gut waren, die Probleme aus dem eigenen Sichtfeld zu befördern. 
Wir befinden uns in Quinta do Mocho (Hof der Eule) nahe Lissabon, aber genauer im Landkreis Loures, wo es Teil der Stadt Sacavém ist. Uns hat die Freude an Streetart hierher gebracht und das sich dort die größte Konzentration an Murals (Wandgemälden) in Europa befindet, war für uns ein Grund mal vorbeizuschauen. 
Die Eule (Mocho) ist der Namensgeber, hier interpretiert von Charquipunk

Wir werden von Kalli, einem der Guides, an der Casa da Cultura Sacavém, empfangen. Ein junger Mann, der uns fragt ob wir die Tour auf portugiesisch oder englisch durchführen möchten und dann gleich hinterher schiebt, dass wir uns in ein "Problemviertel" begeben werden und sicherlich einiges zu sehen bekommen werden, dass wir möglicherweise nicht kennen oder erwarten würden. Aber mit ihm an der Seite sei das kein Problem und es sei auch schon viel schlimmer gewesen. 
Das Viertel existiert schon seit den 70er Jahren, als mit der Nelkenrevolution 1974 viele Menschen aus den ehemaligen Kolonien ihr Glück auf den Territorium der einstigen Besatzungsmacht suchten. Mit oftmals nichts als den Klamotten am Körper kamen sie und waren im Prinzip oft schlechter dran als zuvor. Denn in ihrer Heimat hatten sie wenigstens ein Dach über dem Kopf, was in Portugal oftmals nicht mehr als eine Blechhütte war. Das waren dann die sogenannten "Bairros da Lata" (Blechviertel), wie die Slums genannt wurden. Als das immer mehr zu einem Problem, als nur Ärgernis, wurde, musste gehandelt werden und es fanden immer wieder Räumungen und Umsiedlungen statt. Die "Quinta do Mocho", oder wie sie heute offiziell heisst: Terracos da Ponte, existiert in ihrer heutigen Form seit 2000, als nach und nach die Wohnblocks entstanden, die heute die Bühne für ein Fest der Farben sind.
 
Am Kulturhaus Sacavém
 
Im Kulturhaus Sacavém gab uns Kalli eine erste Einführung in das, was seit 2015 in der QdM passiert ist. Nachdem das Viertel nämlich entstanden war, und über 3000 Menschen, vornehmlich aus den afrikanischen Kolonien Mosambik, Angola, Sao Tome e Principe und Guinea, beherbergte, hatte man das Problem nicht gelöst, sondern isoliert. Es entstand ein Ghetto, dass so verrufen war, dass weder ein Bus in der Nähe hielt, noch Taxis sich hinein begaben. Vor nicht allzu langer Zeit sind vielleicht die bedeutendsten Werke entstanden, nämlich die Schilder mit Straßennamen. Nicht einmal dafür hatte es zuvor gereicht.
Eines der ersten Werke, an dem wir kurz hielten, war recht unscheinbar und auch kein Mural, aber die Männchen mit den übertrieben langen Gliedmaßen, gemalt von Maye , sollten uns noch diverse male auf unserem Rundgang begegnen. 

Das untere Werk entstand in einer Pause, 
wie Kalli uns erzählte.
Maye begann um den Ausfluss der Regenrinne, 
den Ghettoblaster zu malen, 
und der Rest kam dann dazu.
 
Die Murals entstanden hier erstmals 2014, als die Bewohner auf die Idee kamen etwas zu unternehmen um den Ruf des Viertels zu verbessern. So entstand die Initiative "O bairro i o mundo" (Das Viertel und die Welt), die im Rahmen des C4I Programms (Communication for Integration) der EU gegen Rassismus und Ausgrenzung, vorgestellt wurde und neben diversen kulturellen Veranstaltungen wie Speisen, Musik und Tanz auch die StreetArt beinhaltete. Es entstand daraus die Galeria de Arte Publica (GAP), die inzwischen über 100 Murals zählt und ein Selbstläufer ist, denn es entstehen immer mehr. 
 
Cuore Carolina Favale
 
Dabei erzählen sie oft die Geschichten der Bewohner, haben also einen Bezug zu deren Identität oder Alltag. So erfuhren wir, dass es früher schwierig war einen Job zu bekommen, wenn deine Adresse Quinta do Mocho war. Man konnte noch so gut und zuverlässig sein, aber das Stigma der Herkunft haftete an einem, was außerhalb dieses Mikrokosmos gar nicht relevant gewesen wäre.
So entwickelte sich neben den Erklärungen zu einzelnen Bildern ein angeregtes Gespräch, weil uns interessierte ob und was sich z.b. seit der medialen Aufmerksamkeit getan hatte. So ist z.B. das Werk "Take off your mask" des leider bereits verstorbenen Nomen eins, das den Nagel auf den Kopf trifft. Denn um draußen zu überleben, musste man eine Maske aufsetzen und seine Herkunft leugnen.
Zwar hat das Viertel seinen Schrecken verloren und auch ein stückweit den Anschluß an die Außenwelt geschafft, aber die sozialen Probleme und Ungerechtigkeiten existieren noch immer. So sind die Wohnungen recht einfach und deren Qualität niedrig. Viele der Gebäude sind in einem bedauerlichen Zustand. Heiß im Sommer und kalt im Winter. Auch gibt es noch immer das Problem hoher Arbeitslosigkeit und auch für die junge Generation ist es schwer in der Schule mitzukommen und später einen Job zu finden. 
So sagt der Künstler Joao Mauricio aka Violant über sein Mural: "Die Hautfarbe ist unwichtig. Innen sind wir alle gleich." Ähnlich ist auch das wundervolle Werk von Colectivo Licuado "A Uniao faz a forca" angesiedelt. MTO hat bei seinem Werk "Worker-Ghetto-Box" ein ganzes Haus in braun gestrichen und einem Postpaket nachempfunden. Es soll diejenigen symbolisieren, die aus Afrika "verschickt" wurden und irgendwo ankamen um dann einfach weiterverschickt zu werden, wenn sie dort nicht mehr gebraucht werden, und somit deren Leben auf den Kopf stellt (deshalb auch upside down). Eine Geschichte wie man sie von vielen Bewohnern dort erzählt bekommt. 
 
Rechts, das Werk von Violant

Colectivo Licuado

MTO
 
Künstler aus aller Welt finden nun auch den Weg hierher und so wie wir es erlebt haben, werden ihre Arbeiten überwiegend positiv aufgenommen. Viele von ihnen machen sich die Mühe auch etwas vom "Spirit" bzw der Lebensweise, die zugegeben recht einfach ist, mitzubekommen und versuchen ein Verständnis dafür zu entwickeln. Es gibt aber wohl auch welche, die einfach dorthin kommen, ihre Arbeit machen und dann wieder verschwinden, und dabei vergessen, dass sie es sind die in einen fremden Lebensraum eindringen und sich um Verständnis bemühen sollten. Nicht umgekehrt.
Aber auch andere Alltagsprobleme fanden Niederschlag auf den Hauswänden. Frauenrechte, Rechte von Tieren, Kindern und Natur... Die mexikanische Illustratorin Eva Bracamontes hat in ihrem Mural "Coracao de África" das Thema der Frau aufgegriffen und will damit auf die Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung der Frau aufmerksam machen. Bordalo II hingegen hat in seinen Werken meist die Natur und den Einfluß des Menschen im Vordergrund. Das liegt schon daran, dass er ein "Recyclingkünstler" ist. Seine Kunst besteht darin, aus menschlichem Abfall, Tiere zu konstruieren und sie im Großformat anzubringen. Damit hat er schon über 100 Tonnen Plastik, Bauschutt und anderen Müll einer neuen Bestimmung zugeführt. Sein Kranich findet sich in der Rua Pêro Escobar.

Eva Bracamontes
 

 Bordalo II
 
Während wir so durch die Straßen schlenderten, konnten wir ein wenig des Alltags erleben. Kalli wurde von vielen Bewohnern angesprochen und gegrüßt, und erzählte uns, dass er für diverse Nachbarn Arbeiten am Computer erledigte. Seien es Reparaturen an der Hardware oder aber mangels selbiger, war er Anlaufpunkt um online Dinge des täglichen Lebens für sie zu erledigen. Durchaus gut beschäftigt, hat er auf diese Art und Weise einen Platz in der Gesellschaft gefunden und gleichzeitig ist er auch ein wenig Anker für diejenigen, die ein wenig Orientierung brauchen um in der modernen Welt bestehen zu können. Die ehemalige "No-go Zone" hat somit, trotz der Schwierigkeiten die immernoch existieren, auch ganz alltägliche Abläufe und ein normales Leben.
Phantasie, Kunst und Liebe waren andere Themen, die sich an den Hauswänden wiederfanden. Oliveiros Junior, bekannt als Utopia, ist einer der Großen der Szene und hat viele Arbeiten über die Stadt verteilt. Wie sein Name vermuten lässt, entspringen viele seiner Motive der Phantasie. Diese zeigen oft Frauengesichter, die in einer farbenfrohen Umgebung eingebettet sind. Aber auch durch Kollaborationen mit Gleichgesinnten, wie Nomen oder Ram, zeigt er ein breites Spektrum seiner Schaffenskraft.
Jo di Bona aus Paris nennt seine Technik "Pop Graffiti", bei der er verschiedene Ebenen wie Kollagen anbringt. Auch er hat hier 2017 seine Spur hinterlassen. Ein weiterer Franzose, Astro ODV, hat das möglicherweise flächenmäßig größte Mural in QdM kreiert. Es ersteckt sich über drei Hauswände und erlangt dadurch einen verstärkten 3D Effekt. Seine, auf Kalligraphie und klassischen wildstyle Tags, basierenden Arbeiten verschlingt er derart elegant, dass fast unendliche Muster entstehen. 
 
Utopia

 Jo di Bona

Astro ODV
 
Leider kann ich in diesem kurzen Bericht nicht allen Künstlern gerecht werden, aber hier sind noch ein paar weitere Namen von beachtenswerten Künstlern, die sich dort verewigt haben: OzeArv, VhilsHazul, Abraham Osorio, Zag&Sia und viele andere.
 
Ein paar "schnelle" Skizzen von RAF, einem Tattookünstler.
Sein großes Mural befindet sich in QdM
 
Im Laufe des Besuchs kehrten wir auch in ein kleines afrikanisches Restaurant ein, wo wir eine Kleinigkeit aßen, ein paar Getränke nahmen und mit Kalli und ein paar Bewohnern ins Gespräch kamen. Ehrlich gesagt kam ich mir ein wenig vor wie ein Elendstourist, der durch sein Interesse für die Straßenkunst an Orte kommt, die nicht jeder besuchen würde. Aber wir bekamen schnell zu verstehen, dass es, trotz mancher mißtrauischer Blicke, gewünscht ist solche Besuche zu machen. Sie dienen dem Wohl der Communitiy und wertet die Umgebung auf. In Gegenwart von Kalli waren wir zwar trotzdem Aliens, aber wir wurden als Gäste akzeptiert, und ich habe wirklich die Hoffnung, dass unsere Anwesenheit und vieler anderer Besucher ein wenig zu Entmystifizierung dieses Viertels beiträgt.
 
"DAS ist das Viertel". Nicht ohne stolz steht das hier.
 
Wir haben jedenfalls den Eindruck gewonnen, dass durch die Initiative der Bewohner vor einigen Jahren der Wunsch nach Anschluß an die Gesellschaft besteht und es die Menschen von QdM verdient haben beachtet zu werden. Deswegen können wir unbedingt einen geführten! Rundgang empfehlen. Es hilft Vorurteile beiderseits abzubauen und ein kleiner Obolus ist hier sicherlich gut angelegtes Geld. Einmal im Monat gibt es eine durch die Stadtverwaltung organisierte Führung, aber wir hatten viel Spaß mit unserer Privataudienz, die nochmal ein Stück persönlicher war. Die Gastfreundschaft und Offenheit mit der Kalli uns begegnet ist, war toll und wir hoffen, dass das Projekt der Intergation dient und das Leben der Menschen in der Community verbessern kann. Wenn man den Bogen zurückschlägt, zum Beginn des Berichts, dann stimmt der Titel, von dem ich vorher das Gefühl hatte er wäre passend, eigentlich überhaupt nicht, denn eine andere Welt existiert nur durch die Vorurteile in unseren Köpfen.

Pokras Lampas
 
Buchungen für die privaten Touren können über die FB Seite der Guias do Mocho gemacht werden. Kontakt in Englisch ist problemlos möglich. 

 
Ein paar weiterführende Links:
 
 

Sonntag, 19. März 2023

Reisebericht Helsinki 2023 - Langer Tag, kurzer Bericht

Tag der Abreise aus Sariselkä... Das Wetter war immernoch nicht besser und es hatte nachts geschneit. Das merkten wir vor allem daran, dass es dunkler im Zimmer war, weil die Panoramafenster halb zugeschneit waren. Wir hatten gepackt und sind dann frühstücken. Ausgiebig und ohne Stress, denn der Transfer fiel ungefähr mit dem spätesten checkout um 12h zusammen. Also hatten wir etwas Zeit. Zuerst wollten wir einen Schlitten organisieren, die es dort gibt, um unser Gepäck selbst zum Haupthaus zu bringen. Vor dem Frühstück standen noch ein paar rum, dananch nicht mehr. Also hat K einfach einen mitgenommen, der zwischen zwei Bungis stand. Als wir fertig waren, packten wir den Kram drauf und fuhren runter, was Spaß gemacht, und mich ans rodeln früher erinnert hat. Auch die Thermoanzüge hatten wir mit und diese wurden uns auch dankbar abgenommen. Man sagte uns, dass es nicht selbstverständlich sei und viele Gäste sie im Zimmer oder im Resto liegen liessen.
Uns blieb noch etwas Zeit und die nutzten wir noch für einen kleinen Spaziergang. Vorbei am Rentiergehege und durch den Schnee nochmal ein paar Schritte gelaufen und so langsam realisiert, dass diese wundervollen Tage sich dem Ende neigten. Für mich, der ich schon lange nicht im Schnee gewesen war, kann ich behaupten, dass es eine tolle Erfahrung war, die wir künftig hoffentlich noch häufiger haben können.
 
 
Dann war es soweit. Abschied, und diesmal auch mit einem Taxifahrer, der wirklich das Gepäck einlud.
Ergänzend zum bereits gesagten kann ich sagen, dass wir bei einem evtl. nächsten mal wir mind 4 Nächte nehmen werden, denn mit An-/Abreise bleibt eigentlich immer ein Tag weniger als gebuchte Nächte und wenn man jeden Tag zwei Aktivitäten plant, ist das zwar nicht hektisch, aber man hat wenig Zeit die Seele baumeln zu lassen, und auch in Hinblick auf die A.B. ist mehr Zeit sicher nicht verkehrt.
 

Der Flug klappte problemlos. Er war pünktlich und auch das Gepäck war schnell entladen. Warum nur schafft es Ffm nicht so effizient zu arbeiten. Inzwischen ist es, nach einigen Flugreisen, der mit Abstand lahmste Airport den wir kennen. Immer gibt es Verzögerungen und man ruht sich scheinbar auf dem Monopol aus. Ganz schwach!
 

Helsinki empfing uns mit Regen und es sollte, lt. Wetterbericht, auch so bleiben. Wir sind wieder im Glo Kluuvi untergekommen, das wir bereits kannten, und auch sehr zufrieden waren. Auch diesmal gab es nichts auszusetzen. Wir hatten wieder eines der Eckzimmer, die etwas geräumiger sind und eine schöne Aussicht auf die Fußgängerzone haben. 

Statue von Elias Lönnrot, dem Verfasser der Kalevala

Zeit blieb uns nur für eine Aktivität, nämlich ein Abendessen im Grön. Wir entschieden uns zu laufen, weil der Regen aufgehört hatte und es mit ca 15Min Laufzeit angegeben war. Besonderheit hier ist, dass man wirklich erst zum Termin eingelassen wird. Das steht auch auf der Reservierung, dass man im Falle das man zu früh da ist, bitte vor der Türe warten solle. Das kannten wir bisher so auch nicht, aber es war wirklich so. Wir kamen 5 Min vorher an, und hatten extra langsam gemacht, und es standen schon zwei, drei Leute davor. Aber es regnete nicht, und somit war es verschmerzbar. Wenn mal richtiges "Schietwetter" ist, macht das bestimmt nicht so Laune. Als wir das Restaurant betraten, verstanden wir auch warum man draußen warten sollte. Es ist wirklich klein, und außer den 8 Tischen ist eigentlich kein Platz mehr um rumzustehen. Die "Warterei" hatte sich aber gelohnt. Der Laden war ziemlich flott gefüllt und so konnte es losgehen. Wie sich herausstellte, war die Atmosphäre sehr entspannt. Die Servicekräfte kamen an den Tisch und erklärten den Ablauf und beantworteten Fragen und auch für ein Schwätzchen war immer wieder Zeit. Wie eigentlich immer, wenn möglich, entschieden wir uns für eine Nicht-alkoholische Getränkebegleitung, die uns alle zwei Gänge mit einem neuen Getränk serviert wurde. Dabei kamen uns auch ein paar der Getränke bekannt vor, denn wir kannten sie schon von anderen Restaurants, wie dem Kadeau. Die Küche des Grön orientiert sich ein wenig an der New Nordic Cuisine, wie sie das Noma und andere Restaurants in Skandianvien betreiben. Es kommen saisonale und regionale Zutaten auf den Tisch, wobei man sich auch der Haltbarkeitmachung wie Fermentation bedient, um einige Zutaten vorrätig zu haben, wenn sie eben mal nicht wachsen. Wir wurden u.a. mit Krabben, Muscheln und Fisch, verschiedenen Beeren und Gemüsen, sowie Kräutern der Region verwöhnt. Im Laufe des Abends wurde auch klar warum man sich für zwei Seatings entschieden hat. Die Größe der Küche (wirklich klein) erfordert es, dass die Gerichte alle zeitgleich zu-/vorbereitet werden um Platz für den nächsten Gang zu schaffen. Somit bekommen alle zeitgleich den gleichen Gang und sind auch alle zur gleichen Zeit fertig. Alles in allem ein wirklich gelungener Abend und eine tolle Neuentdeckung.
 

 

 Im Grön
 
Unser einziger voller Tag in Helsinki begann mit Glückwünschen für Kathrin und danach einem Blick aus dem Fenster. Denn unsere Tagesplanung sollte sich ein wenig nach dem Wetter richten. Es war den ganzen Tag über Regen avisiert worden, aber zu unserem Glück und Freude hatte es geschneit und tat es immernoch, was unsere Pläne erstmal nach draußen verlagerte. Aber zunächst einmal war Frühstück angesagt. Nach dem Abendessen mussten wir ja die Schlagzahl halten und uns wieder Nahrung zuführen. 
 

Danach spazierten wir los bei ordentlichem Schneefall. Etwas, das wir ja fast schon nicht mehr kennen.
Der Dom war unser Ziel und er macht auch im Winter etwas her. Im Gegensatz zum letzten mal im Sommer aber war der Platz kaum besucht. Ich hatte ihn noch mit vielen Bussen und hunderten Menschen in Erinnerung, aber diesmal war es wirklich fast so, als hätten wir den Platz für uns. 
 

Als nächstes wollten wir mal einen Blick auf die Eisbrecherflotte werfen, von der wir nicht wussten, ob sie überhaupt da sein würde. Sie liegt geschützt an der vom Meer abgewandten Seite der Halbinsel Katajanokka und wir hatten sie schonmal im Sommer gesehen. Diesmal waren drei der Schiffe da und sie sind schon sehr beeindruckend. Da es eigentlich recht warm war für diese Jahreszeit (um den Gefrierpunkt) war wohl der Bedarf an Eisbrechern überschaubar. Aber es gibt Jahre in denen die halbe Ostsee zugefroren ist. Was unser Glück war, dürfte das Leid des Betreibers der Schiffe sein, denn wenn sie nicht unterwegs sind, verdient man auch nichts. Es schneite währenddessen unentwegt weiter und das verlieh dem ganzen Szenario eine schöne winterliche Stimmung. 
 
 

Jeder Eisbrecher hat einen eigenen Briefkasten
 
Wir umquerten die Halbinsel und konnten auch den Schneeräumdienst mal dabei zusehen wie das gemacht wird. Nicht nur einer, der da für ein Viertel zuständig ist, sondern gleich 3-4 Bagger und LKW die parallel und mit ordentlich Dampf durch die Straßen pflügten. Und das war nur auf der relativ kleinen Fläche der Fall. In der Stadt konnten wir später noch einige mehr sehen. 
 

Wir empfanden das winterliche Helsinki, und auch die Möglichkeit es mal zu erleben, absolut entspannend. Trotz der Kälte und des Plan B, dehnte sich der Aufenthalt draußen bis in den Nachmittag aus. Die Menschen dort sind dieses Wetter gewöhnt und bei den "warmen" Temperaturen machten viele auch Sport. Wir sahen ein paar Kajakfahrer in der Bucht, die, als wäre es das Normalste der Welt, bei Schneefall ne Runde zu paddeln. Wahrscheinlich ist es auch das Normalste in Finnland. Solange der Teich nicht zugefroren ist, und die Paddel nicht steckenbleiben, kann man raus. Es war jedenfalls ein wundervolles Erlebnis und wirkliche Quality Time, die wir dort hatten.
Eine Sache war wie damals im Sommer gewesen. Es wehte hier wieder eine "Steifen Brise" als wir die Meerseite Katajanokkas erreichten, so dass uns der Schnee direkt ins Gesicht geblasen wurde. 
 
Klar, woher der Wind weht...

Was wir 2016 versäumt hatten, holten wir dieses nach und besuchten auch die Uspenski Kathedrale, die größte und wichtigste für die orthodoxen Christen. Sie ist über und über mit Gold, Ikonen und Verzierungen ausgekleidet, und wir konnten sogar den Vorbereitungen für eine Taufe beiwohnen, allerdings nicht der Zeremonie selbst.
 
 
Uspenski Kathedrale
 
Zeit für eine Stärkung.... Wir waren am Marktplatz angekommen, dem zentralen Punkt der Stadt. Dabei konnten wir ein "Schauspiel" beobachten, das wohl typisch für Finnland ist. Die Saunen gibt es hier überall und in allen erdenklichen Ausgestaltungen. Im Sommer hatten wir eine in einem LKW gesehen, die Mitten auf dem Marktplatz stand. Dieses mal befand sich eine auf einem schwimmenden Ponton und zur Abkühlung hüpften die Leute ins Wasser der Ostsee. Anders als bei uns sind es wohl in Finnland aberTextilsaunen. Zumindest waren die, die wir gesehen haben, nicht für Nackedeis. 
 

Eindrücke vom Marktplatz
 
Die alte Markthalle liegt in der Nähe und dort kehrten wir ein für ein paar Fischbrote, die köstlich schmeckten, aber für knapp 10€ das Stück durfte man das auch erwarten. Ohnehin ist Helsinki (und auch andere skandinavische Städte) ein teures Pflaster. Die Lebenshaltungskosten sind, auch bei Dingen die man nicht unbedingt vermuten würde (wie z.b. Fisch), ziemlich hoch. Ich ziehe dabei immer gerne mal die Espresso Preise heran, und in Helsinki liegt man bei ca 3€.
 
 

Die alte Markthalle
 
Dann weiter, und als wir an einem Iitala Shop vorbeikamen, wurde ich sanft aber bestimmt hineingezogen. Ich meine, das Zeug ist ja schon schön und die Alvar Aalto Vase ein Klassiker. Aber seitdem wir sie in Helsinki als Mitbringsel gekauft haben, fährt die Regierung schon ziemlich auf das Design ab. Hinterher das Zeug im Hotel abgeliefert und in die andere Richtung, denn wir wollten noch in ein Museum. Wir hatten ja ein paar als Plan B in Petto und uns am Ende für das Finnische Nationalmuseum entschieden, weil Amos Rex Schlangen davor hatte und das Ateneum zu war. 
 
Amos Rex überirdisch
 
Aber das war kein Problem, denn es hat uns gut gefallen und auch ein wenig unseren Horizont erweitert. Dabei schloß sich ein wenig der Kreis zu unserem Besuch in Lappland und das, was wir dort über die Samen gelernt hatten. 
 
Decken Fresko von Akseli Gallén-Kallela in der Eingangshalle
mit Szenen aus dem Nationalepos Kalevala
 
In einem Werbespot heisst es: "Die spinnen, die Finnen". In gewisser Weise ist das auch so, und heutzutage ist das sicher auch eine charmante Bezeichnung der finnischen Eigenarten. Aber wenn man mal einige Jahrzehnte zurückgeht, oder auch noch länger, wird man feststellen, dass das Leben in diesem Teil der Erde sehr entbehrungsreich war. Das bezieht sich nicht nur auf die klimatischen Bedingungen, die oftmals ein reiner Überlebenskampf waren/sind, sondern auch auf die Nachbarschaft der Russen und Schweden. Beide Länder hatten immer wieder ihre Fühler nach Suomi ausgestreckt und es sich für gewisse Zeiträume auch einverleibt. Das sowas nicht gewaltfrei geht, dürfte klar sein. Jedenfalls haben die Finnen und ihre Völker allen Grund stolz auf ihre Kultur zu sein, die oftmals versucht wurde (durch Assimilation und Vertreibung), ihnen zu nehmen, und wofür nicht wenige ihr Leben gelassen haben. Jedenfalls verließen wir ziemlich beeindruckt das Museum.
 
 

Eine der höchsten Ehren Finnlands:
Der Ritterorden der Finnischen Weißen Rose

Auf dem Rückweg waren wir noch in der neuen Zentralbibliothek Oodi, die ein wenig an die Elbphilharmonie erinnert hat, aber bestimmt weder so teuer war, noch so lange gebraucht hat bis sie mal stand. Sie ist ein Treffpunkt für alle, die sich für Bildung interessieren. Es gibt dort Räume für Arbeit und Meetings, öffentliche Bereiche wie Cafés und Kino, und vor allem die Bibliothek im dritten Stockwerk, die die eigentliche Attraktion ist. Sie ist komplett verglast und eine echte Perle. Man hat überall Ecken und Sitzgelegenheiten um zu schmökern, aber auch um einfach nur die tolle Architektur zu betrachten. 
 
 

Oodi Bibliothek
 
Für den Abend war wieder ein Ort angesagt, den wir beim ersten mal Helsinki schon besucht hatten. Das Ravintola Olo, ist mir noch in lebhafter Erinnerung, weil ich dort meine beste Kartoffel ever... ever, ever, gegessen habe. Aber das war nicht der Grund, sondern es war und ist einfach gut. Der Service war dabei, mit Sam als unseren Gastgeber, ein Spaß und auf den Tellern wurden uns absolute Köstlichkeiten kredenzt. Dabei wurden auch der Geburtstag von Kathrin nicht vergessen und mit einem Extragang gewürdigt.
 
 
 
 Leckereien im Olo
 
Witzig war, dass einige der Hauptzutaten sich bereits am Vortag auf unseren Tellern wiedergefunden hatten. So z.b. die isländischen Krabben, der Monkfish oder auch Rentier. Aber das war nicht schlimm, denn die Zubereitung war anders und so konnten wir ein paar Vergleiche ziehen.
Wir wurden auch Zeugen eines Heiratsantrags, den Kathrin, wie sie sagte, wahrscheinlich abgelehnt hätte. Zwar hatte der künftige Bräutigam rote Rosen besorgt, dafür gesorgt, das auf Social Media das Ereignis zu sehen sein würde und auch den Ring nicht vergessen. Aber er hat (ich saß mit dem Rücken zum Schauspiel) wie ein Beamter mit gefalteten Händen und ziemlich emotionslos am Tisch gesessen und seinen Text aufgesagt. "Dann war der Ring wohl groß genug und vorzeigbar" meinte ich zu Kathrin, nachdem die Angebetete "Ja" gesagt hatte.
Mit vollem Magen verabschiedeten wir uns dann und stiefelten in die verschneite Nacht.
 
 
Dom bei Nacht

Ja, der Rest ging dann recht flott. Mit der Straßenbahn sind wir zum Hbf, von dort mit der P Linie (I Linie hatten wir in die Stadt genommen) zum Airport und dann ging es heim. 
 
 
Der Hauptbahnhof

Was bleibt nun am Ende? Zu Lappland habe ich ja mein Fazit schon gezogen.
Helsinki ist jedenfalls auch im Winter eine Reise wert. Es ist ganz anders und man muß einfach flexibel sein. Aber allein mal wieder Schnee zu erleben und sich durch die Stadt zu bewegen, immer mit der Möglichkeit irgendwo einzukehren, sei es zum Shoppen, Essen oder um ein Museum/Veranstaltung zu besuchen... Alles geht. Wir hatten natürlich etwas Glück, denn bei Schnee ist man etwas unabhängiger als bei Regen, aber selbst dafür gibt es genug Alternativen.
Wann soll man also hin? Beides hat seinen Reiz, aber ich würde eher wieder im Sommer hin....