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Sonntag, 23. Juli 2023

Lissabon 2023 - Lissabon für Fortgeschrittene

Lissabon stand mal wieder an. Wer uns folgt, oder ab und an hier rein schaut, wird festgestellt haben, dass wir uns dort recht oft aufhalten. Fast jedes Jahr verschlägt es uns dorthin. Das liegt einerseits daran, dass es eine unserer Lieblingsstädte ist, aber auch daran, dass wir dort Familie haben. Somit gibt es eigentlich immer einen Grund dorthin zu reisen.  

Manchmal sind es die einfachen Dinge die zu gefallen wissen
 
Wie so oft geht mein Bericht mit dem Gemecker auf die Airlines los.... So auch diesmal, wo es die TAP geschafft hat, für die Gepäckaufgabe zwei Schalter aufzumachen und sich deshalb eine beachtliche Schlange bildete, die uns am Ende etwa 45min kostete. Dadurch hatten wir den Zeitslot für den gebuchten Sicherheitscheck verloren und der Flieger konnte auch nicht pünktlich starten. Das lag angeblich aber am erhöhten Verkehrsaufkommen am europäischen Himmel, wie uns der Kapitän während des Fluges mitteilte. Der Sicherheitscheck ging dafür erstaunlich effizient, und dauerte auch nicht lange, weil scheinbar nicht allzuviele Samstag abends fliegen wollten.
Als ich dann die Schlange am Gate sah, war mir schon wieder klar, wie dann die Gepäckfächer malträtiert werden würden, und ich sah mich schon mit meinem Rucksack im Fußraum sitzen, und die Knie hinter den Ohren. Das gab ich natürlich auch Kathrin zu verstehen, die ihre Augen rollte.
Als wir dann, mit überschaubaren 15min Verspätung die Maschine betraten und unsere Reihe erreichten, stellten wir mit Freude fest, dass wir Notausgangplätze hatten... Wir schauten uns an und waren etwas verwundert, weil uns bei unserer taktischen Reiseplanung gar nicht klar war, das wir diese reserviert hatten... Meine bessere Hälfte ließ mich wieder wissen ich sei ein Griesgram... Ich weiß gar nicht warum... Bin doch eigentlich ein freundlicher Mensch mit kritischem Blick für das Wesentliche...
 
 
 
In Lissabon angekommen, hat sich bei uns eine kleine Tradition entwickelt, nämlich ein Käffchen und ein erster Pastel de Nata beim treffend benannten Laden: First coffee. Der kurz vor den Gepäckbändern liegende Shop ist wie eine Begrüßung. Statt am Band zu warten, verkürzt man hier die Zeit recht sinnvoll. 
 
Einstieg leicht gemacht

Eine Erfahrung, die wir über die Jahre immer wieder gemacht haben ist die, dass man auf Reisen immer wieder interessanten Menschen und deren Geschichten begegnet. So war es bei uns der Taxifahrer, der uns fragte ob wir aus Deutschland kämen. Als wir bejahten, erzählte er uns, dass sein Großvater der Millionste Gastarbeiter in Deutschland gewesen war. Ein schneller Abgleich des Namens hat das auch bestätigt. Er erzählte von seinen Besuchen in Deutschland und so entwickelte sich ein recht angeregtes Gespräch, dass sicher noch länger gedauert hätte, wenn wir nicht schon etwa 15 Min später am Hotel angekommen wären. Ja, dieses mal hatten wir uns für ein Hotel statt Appartment entschieden. Die Preise sind auch hier ziemlich angestiegen, so dass der Preisvorteil gegenüber einem Apartment praktisch nicht mehr vorhanden war. Außerdem haben wir uns aus dem Zentrum um die Baixa verabschiedet und sind in das Estrela Viertel gezogen. Das Hotel da Estrela liegt im Herzen des gleichnamigen Viertels, recht ruhig, dafür aber auch verkehrsmäßig ( zumindest ohne Auto) weniger ideal als das Zentrum. Aber da wir uns gut auskennen und dieses Viertel uns generell gut gefällt, war das eine einfache Entscheidung.
 
Basilica da Estrela

Es ist ein Hotel, das mal Teil der nebenan liegenden Hotelfachschule war, aber inzwischen eigenständig ist, jedoch den Schülern nebenan auch die Möglichkeit zur Praxisausbildung gibt. Obwohl die Zimmer schön sind, nagt ein wenig der Zahn der Zeit an ihnen (zumindest unserem) und es könnte mal eine kleine Ausbesserung vertragen. Aber alles in allem gab es aber keinen großen Grund für Klagen.
 
Hotel da Estrela
 
Die Unterbringung abseits der üblichen Unterkunft eröffnete natürlich ganz neue Möglichkeiten zum Zeitvertreib. Ein erster Weg führte uns in den Jardim da Estrela, einer unser Lieblingsparks, weil er auf relativ kleiner Fläche viele verschiedene Pflanzen vereint und doch recht verzweigt ist, so daß es viele Leute hinzieht, die der Hitze entfliehen oder ihre Hunde Gassi führen. Es findet sich oft ein ruhiges Eckchen, und wenn nicht kann man auch einfach einen Kaffee trinken. Im Anschluß sind wir (bei meinen vorangegangenen Versuchen war er immer zu) auf den Britischen Friedhof, direkt gegenüber. Ein kleiner Ort der Ruhe, der zwar ein stückweit sich selbst überlassen wird, aber dadurch einen ganz eigenen Charme erhält. Die Briten haben schon seit Jahrhunderten eine relativ enge Bindung zu Portugal und somit ist die Community auch nicht ganz unbedeutend. Das sieht man auch, wenn man sich die Gräber anschaut, die bis ins 18.Jh zurückreichen. Auch findet sich dort das Grab des Schrifstellers Henry Fielding, der in Lissabon 1754 verstarb.
 

Jardim da Estrela und Britischer Friedhof
 
Wenn man das Estrela Viertel in südlicher Richtung, entlang der Hänge hinab zum Tejo verlässt, gelangt man in das Lapa Viertel. Seine Lage macht es zu einem Viertel für Wohlhabende und Politik. Es liegt über den Arbeitervierteln Santos und Alcântara, und die Bewohner genießen oft einen schönen Blick auf den Fluß inklusive Sonnenuntergängen. Es ist auch Diplomatenviertel und beherbergt einige Botschaften, wie z.B. die der VR China, Großbritannien, Niederlande usw. Auch der Regierungspalast mit dem Sitz der Nationalversammlung, und einige Parteien haben dort ihren Sitz. Touristisch gesehen ist es nicht wirklich interessant, aber wenn man tiefer in die Stadt eintauchen möchte und schon viel anderes kennt, ist es durchaus einen Spaziergang wert. 
 
 

Lapa

Auf unserer großen Schleife kamen wir auf der Praça da Armada an einem ansprechenden Resto vorbei, nämlich das Zanzibar. Es war bereits nachmittags, aber wir hatten außer dem Frühstück noch nichts gegessen, weshalb wir dort einkehrten. Es war eine gute Wahl, denn die kleine Karte bot genug um uns zu überzeugen. Fisch mit Tomatenreis und Koriander, sowie Venusmuscheln in Sud, dazu ein Couvert und Getränke für einen fairen Preis. Definitiv eine Empfehlung.
Anschließend liefen wir zur LX Factory, die wir nun schon ein paar Jahre nicht besucht hatten. Was soll ich sagen? Enttäuschend trifft es ganz gut. Vom Underground- und Revoluzzerfeeling ist kaum noch etwas vorhanden. Stattdessen viel Kommerz und eine komische Zusammenstellung von Geschäften. Die Grundstücke scheinen langsam auch teuer genug zum Verkauf zu sein, so dass der Teil, der direkt an der Avenida de India liegt, inzwischen geräumt worden ist.... Irgendwie scheint uns, als wollen alle nochmal den guten Ruf ausschlachten, aber ich behaupte mal, in 10 Jahren wird es nicht mehr existieren. Ein paar der interessanten Projekte und Läden sind schon weg und an deren Stelle sind eher kapitalkräftigere Anbieter getreten. 
 

 
LX Factory

Was auch den Kommerz wiederspiegelt ist der Luftverkehr... Wir hatten uns an jenem Tag viel in der Einflugschneise aufgehalten. Was da an Bombern über uns gezogen war, ist uns noch sie so krass aufgefallen. Teilweise kam alle 2-3 Min ein Flieger, und das über mehrere Stunden hinweg. Kürzlich las ich, dass die Anzahl der Flüge europaweit wieder das Niveau von 2019 erreicht hat, aber hier dürften wir darüber liegen.
 

Zum späten Nachmittag sind wir an einen weniger bekannten Miradouro, nämlich Largo das Necessidades. Eigentlich fast nur Einheimischen bekannt, waren auch nicht viele Menschen da, als wir dort mal eine halbe Stunde Flugzeuge zählten, den Blick zur Brücke schweifen ließen und uns freuten wieder mal da zu sein.
 
 
 
Necessidades
 
Wer das Timeout Market kennt, wird bzw würde den Mercado Campo de Ourique schätzen. Wie auch beim Timeout Market ist er mal reine Markthalle gewesen. Während man am Tejo die Markthalle nach nebenan verfrachtet hat, wurde hier einfach der Foodcourt in das Zentrum der Halle gelegt und alle anderen Stände liegen drumherum. So hat man alles unter einem Dach. Mir persönlich gefällt es besser, auch wenn die Auswahl und Namen weniger sind, aber es dürfte für jeden etwas dabei sein, und es es ist auch lange nicht soviel los. Außer Mittags, wenn die arbeitende Bevölkerung Pause macht, oder am Wochenende abends, kann man sich entspannt dort bewegen.
 
Mercado de Campo de Ourique mal ohne Andrang

Morgens im Garten zu Frühstücken war definitiv ein Luxus, den wir vermisst hatten. Nach einigen Jahren in den Apartments der üblichen Anbieter, war das eine Wohltat, langsam in den Tag starten zu können. Wir mussten uns nicht in einem der In-Cafés drängen und auf einen Sitzplatz warten. Die Auswahl war nicht üppig, aber es gab Obst, Müsli, Aufschnitt, Stückchen und verschiedene Getränke, so dass wir keine Veranlassung sahen draußen zu frühstücken. 
 

 Morgens im Hotel
 
Für uns stand wieder einmal Streetart auf dem Programm. Als Freunde der Straßenkunst, haben wir schon einige Ausstellungen besucht und sind auch einfach auf Streifzüge durch vielversprechende Gegenden gegangen (siehe auch hier z.B.)
 

 
Deshalb haben wir uns gefreut, dass kurz zuvor die Ausstellung "UrbanRevoloution" stattfand, die in der Cordoaria Nacional untergebracht war. Dieser Ort ist eine ehemalige Seilerei, die Taue und Seile für industriellen Gebrauch herstellten. Heute ist es ein Kulturtreff und beherbergt viele temporäre Ausstellungen. Für UR haben diverse Künstler jeweils separate "vier Wände" zur Verfügung gestellt bekommen, die sie verschönern konnten. Herausgekommen sind viele verschiedene Werke, von Namen wie Vhils, AddFuel, Shepard Fairey, Swoon, Futura usw. Abgerundet bzw eine Verbindung schaffen dabei die Fotos vom Martha Cooper, einer der bekanntesten Fotograf(in)en, die die Straßenkultur seit den 70er Jahren dokumentiert. Die Bilder zeigen vor allem die Anfangszeit der Bewegung in den 70er/80er Jahren mit Schwerpunkt in NYC. 
 

 

 
Urban Revolution

Obwohl wir dieses mal eher neue Ecken bzw lange nicht besuchte Orte der Stadt sehen wollten, kamen wir an der Baixa nicht ganz vorbei. Was wir in der Innenstadt feststellen konnten, war, dass die Bautätigkeit bzw Restaurierungen der letzten Jahre oft abgeschlossen worden waren und die Stadt nicht mehr wie eine Baustelle wirkt. So war z.B. die Hauszeile zwischen Praca Dom Pedro IV und Praca da Figueira endlich fertig und gab dem Platz gleich ein ganz anderes Bild als noch vor ein paar Jahren. Auffällig war noch etwas anderes. Die vermuteten Menschenmassen waren woanders, aber nicht im Zentrum von Lissabon. Touris gab es, aber nicht in den befürchteten Horden. Wahrscheinlich ist noch Vorsaison... Anders kann ich es mir nicht erklären. Eine andere Sache, die uns auffiel waren angenehm leere Straßen. Zu Dienstbeginn allerdings weiß ich es nicht, da waren wir meist noch im Hotel, aber zu Feierabend, sah das auch anders aus. Dennoch war es sehr erträglich. Den Grund erfuhren wir von einem Taxifahrer, der uns erklärte, dass die Ferien in Portugal gerade begonnen hätten und viele Lisboetas diese Zeit nutzen, um der Stadt zu entfliehen. 
 
 
Zwar zentral gelegen, aber sicher nicht jedem bekannt

Das Abendessen im Plano war Licht und Schatten. Leider haben wir im Weinkeller gesessen, was K viel zu kalt wurde und auf die Stimmung schlug. Der Service bzw Küche ( so genau ließ sich das nicht sagen) waren ziemlich überfordert, wenn auch bemüht. Wir warteten fast 45min allein auf das Couvert und dann wieder über 20min auf die Grüße aus der Küche.
Dafür fand ich die Gerichte allesamt ziemlich gut bis sehr gut. K war anderer Meinung. Sie fand etwa die Hälfte gut, den Rest eher nichtssagend. Selten haben wir so weit auseinander gelegen. 
 
 

Plano
 
Normalerweise gehen wir eigentlich im Urlaub abends Essen, aber diesmal haben wir ein Mittagessen gebucht um auch mal einen Sonnenuntergang zu erleben. Das "Jardim Sr. Lisboa" war ziemlich gut. Schönes Ambiente und leckeres Essen. Es liegt in unmittelbarer Nähe der Nationalversammlung und überzeugte uns mit seinen kreativen Gerichten, die sowohl vegetarisch, als auch mit Fisch sehr gelungen waren. 
 
 
 
 
 

O Jardim Sr Lisboa
 
Wie ja bereits erwähnt, war unser Ansinnen, Lissabon für Fortgeschrittene zu erleben. Abseits der Touriströme bewegen war angesagt und auch neue Ecken entdecken, bzw diejenigen, die wir lange nicht mehr gesehen haben. Das meiste, was man bei einem erstmaligen Besuch der Stadt erleben möchte, liegt ja entweder am Fluß, oder den Hängen der dahinterliegenden Bairros. Nördlich des Marquês de Pombal bewegen sich eher die Bewohner der jeweiligen Viertel, oder Geschäftsleute. Dazu gehören auch die Avenidas Novas. Das Viertel nördlich vom Parque Eduardo VII erstreckt sich etwa zwischen Saldanha und Campo Pequeno in Nord/Süd Richtung und dann nochmal zwischen Alameda und Praca de Espanha in Ost/West Ausdehnung. Diese Avenidas Novas entstanden als die Bevölkerung Anfang bis Mitte des 20.Jh deutlich zunahm und es zur Erschließung und Eingemeindung der nördlichen Gebiete kam. Bis dahin gab es in dieser Zone, und weiter nördlich, noch viele Felder und andere Nutzflächen. Mit der Machtübernahme durch Diktator Salazar wurden große Wohnbauprojekte initialisiert, die in erster Linie einem zweckmäßigen Ansatz folgten. Die Zeit des Jugendstils war vergangen und Art Deco bzw Streamline Modern waren deutlich reduziertere Stile in denen viele der Gebäude, entstanden. In Portugal wird der Baustil dieser Häuser auch "Português Suave" genannt, weil versucht wurde, die o.g. Stilrichungen mit Elementen der portugiesischen Architektur des 17. und 18.Jh zu verbinden. Herausgekommen sind Gebäude, die einerseits schlicht sind, aber anderseits auch mit Spitztürmchen und Verzierungen aufwarten. Eine weitere Gemeinsamkeit, die man an vielen Bauwerken des Nationalismus wiederfindet, sind Reliefs, Kacheln oder Statuen, die oft Alltagsszenen zeigen. Ein gängiges Kunstelement, das in vielen Ländern, deren Bevölkerung überwacht und diktatorisch regiert wurde, Anwendung fand.
 

 

 

 Avenidas Novas
 
Wir starteten am Campo Pequeno, der ehemaligen Stierkampfarena. Wobei "ehemalig" nicht ganz stimmt, denn es finden immernoch Stierkämpfe dort statt. Allerdings ist es, nach jahrelanger Renovierung, eine Multifunktionsarena, in der auch Konzerte das Publikum begeistern, und eine Mall gibt es dort auch. Avenidas Novas ist heute vor allem ein Viertel der (gehobenen) Mittelschicht und es erhält sein Flair durch die breiten, baumgesäumten Alleen, die viel Schatten spenden und selbst heiße Tage erträglich erscheinen lassen. Die vielen Alleen, die das Viertel durchziehen und ihm den Namen gaben, sind in dieser Konzentration einzigartig in der Stadt. Zwar gibt es in Lissabon viele Alleen, aber sind sie doch meist verstreut. Die Bauten sind dagegen eher Einheitsbrei, aber zwischendrin finden sich noch einige Jugendstilperlen. Vor allem entlang der Avenida Duque d`Ávila befinden sich ein paar tolle Häuser, die dem Bauwahn des "Estado Novo" nicht zum Opfer gefallen sind. 
 

 
Campo Pequeno (erstes Bild)

Unser Spaziergang endete im Gulbenkianpark, der toll ist. Ein Ort, der einerseits Bühne für Kunst ist, aber andererseits jedem offen steht und ohne große Verbote auskommt. Man findet Menschen, die ihre Mittagspause dort verbringen, genauso wie Malklassen, die unter den Bäumen ihre Staffeleien aufgestellt haben, oder jemand der versteckt ein Buch liest. Was uns besonders gefallen hat, war, dass die Wege eher Vorschläge sind um sich dort zu bewegen, aber immer wieder versteckte Pfade auftauchen und sich immer weiter verzweigen. Man kann sich regelrecht verstecken bzw verlieren, ohne sich zu verirren. Dazu gibt es an den unerwartetsten Stellen Sitzgelegenheiten. Ein wirklich wundervoller Ort um abzuhängen bzw einfach mal dem Alltag zu entfliehen.
 

Gulbenkianpark
 
Da wir Mittags schon essen gewesen waren, bot sich am Abend die Gelegenheit für einen Sonnenuntergang. Wo geht das besser als von einem der vielen Miradouros (Aussichtspunkte). Im Sommer sei einer empfohlen, der auf dem Hügel der Burg liegt, weil von dort ein Blick nach Westen besser gewährleistet wird. Wir entschieden uns für den Miradouro da Graça, in der Nähe der Burg. Durch die Lage unseres Quartiers konnten wir recht bequem mit der 28 fahren und liefen noch ein Stück von Portas do Sol aus. Hier hatten wir erstmalig das Gefühl es sei was los. In den Gassen wimmelte es von Menschen, die sich zum Feierabendbier oder Abendessen getroffen hatten. Oben abgekommen war das Café auch fast komplett gefüllt. Es war ein schöner Sonnenuntergang, der die Burg noch in warmes Licht tauchte, bevor die Blaue Stunde dann die Sonne ablöste.
 
 

 

 
Sonnenuntergang in LX

Apropos Gulbenkian. In Lissabon ist er bekannt wie ein bunter Hund. Es gibt wohl kaum einen Menschen der Neuzeit, der mehr für das kulturelle Leben der Stadt getan hat, als er. Calouste Gulbenkian war Armenier, der durch geschickte Geschäfte und das knüpfen wichtiger Kontakte zu einem der reichsten Menschen der Welt avancierte. Sein Fachgebiet war vor allem das Ölgeschäft, wo er einer der wichtigsten Akteuere im Gebiet des Osmanischen Reichs war. Durch seine Investitionen in verschiedene Unternehmen, die oftmals eine Sperrminorität darstellten, erhielt er den Namen "Mr. Five Percent". Kriegswirren und Anschuldigungen durch die Briten, er hätte mit dem Vichy Regime paktiert, verschlugen ihn 1942 nach Portugal. Mitgebracht hat er dabei seine enorme Kunstsammlung, die heute im Museum, das seinen Namen trägt, teilweise ausgestellt wird. 
 
Mr Five Percent

Das Museum haben wir besucht, und auch wenn es für mich das zweite mal war, so ist es wieder sehenswert gewesen. Es beginnt mit dem Ägyptischen Reich, geht über die Griechen und das Mesopotamische Reich bis zur Europäischen Kunst der Neuzeit. Beeindruckend ist auch seine Sammlung an Objekten von Rene Lalique. Es dürfte eine der umfangreichsten weltweit sein.
Nach seinem Tod im Jahr 1955 ging die Verwaltung der Sammlung und des Vermögens an eine Stiftung, die einerseits die Sammlung ständig erweitert, so z.b. auch durch Moderne Kunst, als auch Veranstaltungen und temporäre Ausstellungen organisiert und Künstler unterstützt. Im Museum gibt es auch immer wieder temporäre Ausstellungen, die entweder Objekte aus dem Archiv zeigen, oder in Zusammenarbeit mit anderen Museen, Wanderaustellungen beherbergen. So haben wir uns noch eine Ausstellung von japanischen Drucken aus dem 18. und 19.Jh angeschat, die lange Zeit verschlossen war.

 
 

Den Abschluß fand der Tag in der Nähe von Sta. Apolonia. Wo früher Docks und Warenkontore waren, wurde einerseits das Kreuzfahrterminal hinverlegt und außerdem eine breite Uferpromenade angelegt, die gut gelungen ist, aber immernoch unfertig anmutet. Dort jedenfalls hat Marlene Vieira ihr Domizil aufgeschlagen, und das gleich zweimal. Zum einen gibt es das Zunzum, das neben aufgepeppten portugiesischen Klassikern auch trendige Bistroküche serviert. Dahinter liegt das Marlene, das gehobene Küche anbietet. An jenem Tag hatten wir das Glück einem Special Event beiwohnen zu können, weil gleich drei portugiesische Spitzenköche zu Gast waren und jeder einen Teil des mehrgängigen Menüs zubereitet hat. Ein richtiges Happening, wo auch ein bekannter Winzer aufschlug und die Weinbegleitung mit seinen Produkten stellte. 
Marlene Vieira ist in Portugal kein unbeschriebenes Blatt und neben ihren Häusern (mir sind vier bekannt), ist sie auch im TV vertreten und mit einem weiteren sehr talentierten Chef verheiratet, nämlich Joao Sá, dessen Restaurant wir beim letzten mal besucht hatten.
 
Ein perfekter Moment

Während ich mit meiner wundervollen Frau auf der Terasse unseren Aperitif nahmen, wir in die untergehende Sonne blinzelten und den Joggern und Spaziergängern auf der Promenade nachschauten und dann den Blick weiter auf den Tejo schweifen ließen, von wo eine leichte Brise unsere Haut berührte, war das einer dieser seltenen, wirklich perfekten Momente, den ich am liebsten konserviert hätte. 
Drin hatte ich um Plätze am Tresen gebeten. Nach meinem ersten Besuch im Marlene, wo ich auch dort saß, war das der beste Ort um einerseits den Köchen zuzuschauen, und andererseits auch mal mit ihnen zu schwätzen. Und dazu gab es viele Gelegenheiten, denn nicht jedes Team war immer beschäftigt, da jedes nur zwei Gänge vorzubereiten hatte. So freuten wir uns auch Pedro Pena Bastos wiederzusehen, den wir damals kennengelernt haben, als er sein letztes Essen im Ceia zubereitete. Sein neues Restaurant Cura ist inzwischen auch einer der Hotspots in Lissabon.
Bei den ganzen Willkommensreden und Vorstellungen war klar, das es solches Dinner etwas länger dauert als üblich. Am Ende waren es über 5 Std, die wir dort verbrachten, aber es war jede einzelne Minute wert. 
 

 

Marlene
 
Den Jugendstil habe ich ja bereits angesprochen. Bis vor nicht allzu langer Zeit war mir gar nicht bewusst, dass Lissabon wirklich viel davon bereithält. Einerseits verteilt, aber auch an einigen Stellen konzentriert, finden sich noch Zeugen aus der Jahrhundertwende des 19./20.Jh. Wie oben erwähnt, sind die Avenidas Novas, und vor allem die Avenida Duque d`Ávila, ein gutes Pflaster um noch einige schöne Häuser zu finden. Manchmal sind es auch nur die Eingangstüren oder Kacheln, die zu begeistern wissen. Man muß den Blick auch manchmal nach oben richten um Schönes zu entdecken.
 

 


In eine ganz andere Richtung geht der Parque das Naçoes. Das ehemalige Expo Gelände ist das Zentrum eines praktisch neu entwickelten Wohn- und Gewerbegebiets. In den 90er Jahren war der Osten der Stadt, und schon die Pet Shop Boys nahmen darauf Bezug im Song "West End Girls", die vergessene und vernachlässigte Gegend. So auch in Lissabon. Es war soweit heruntergekommen, dass etwas passieren musste, und die Bewerbung für die Expo98 war ein guter Anlaß dafür. Wo sich heute das Gelände befindet, und seitdem viel teurer Neubau entstanden ist, waren in den 40/50er Jahren die Docas dos Olivais beherbergt, wo es vor dem kommerziellen Flugzeitalter die Wasserflugzeuge waren, die dort landeten. Nachdem die Langstreckenflugzeuge das Luftfahrtgeschäft revolutioniert hatten, und die Wasserflugzeuge obsolet gemacht hatten, verfiel das Gebiet und es entstanden Schlachthöfe, umweltschädliche Industrie und Müllhalden. Es war also eine gute Gelegenheit den Dorn im Auge der Stadt zu ziehen und die Expo änderte alles. Der Petrogal Turm ist das letzte verbleibende Relikt aus dieser Zeit und ansonsten ist ein komplett neues Wohngebiet entstanden, dass inzwischen zu den schickeren Ecken der Stadt gehört. Über die Architektur kann man sich streiten, und ob modern besser ist als antik, aber städtebaulich hat man hier etwas geschaffen, das auch nach der Weltausstellung Bestand hat (anders als in anderen Städten von Weltausstellungen) und noch immer beliebt ist bei alt und jung. 
 

Vasco da Gama Tower
 
Wir sind auch dort vorbeigeschneit, aber nicht zum Sightseeing, da wir es schon kennen, sondern zum Dinner. Im Vasco da Gama Tower, am Nordende des ehemaligen Geländes, hat sich Martin Beresategui niedergelassen. Das Restaurant stand schon eine ganze Weile auf unserer Liste, aber erst dieses mal kamen wir dazu es zu besuchen. Der Name Fiftyseconds leitet sich aus der Dauer die der Aufzug nach oben braucht ab. Durch die Glaskapsel kann man von der Vasco da Gama Brücke, über das Gelände bis in die Stadt schauen. Zu Sonnenuntergang ist das nochmal ein etwas schöneres Erlebnis. Man kann auch ohne Reservierung hoch. Es gibt ein Besucherdeck. Oben angekommen, betritt man einen halbrunden Raum, der konsequent in Azur und Kupfer gehalten ist und wo jeder Tisch ein Fensterplatz ist. 

 
Da wir kürzlich in Beresateguis Heimat waren, ihn aber aufgrund dieses Besuchs nicht im Baskenland schon eine Visite abgestattet haben, waren wir sehr auf die Küche gespannt. Das schöne war, dass nicht nur die Kreationen des Patrons auf den Tisch kamen, sondern auch sein Statthalter, Chef Filipe Carvalho, seine Kreativität einfließen lassen kann. Mit dem Ausblick über den Tejo wurden uns eine Leckerei nach der anderen serviert. Zwar war der Service etwas förmlicher, als wir ihn von anderen Lokalen kennen (und brauchen), aber das schmälert nicht das Gesamterlebnis. Wir können sagen, dass das Team und MB absolut abgeliefert haben. Es gab keine Schwäche, außer vielleicht das es kein antialkoholisches Pairing gibt (aber die Kreationen des Barkeepers waren toll), und so war auch dieser Abend ein gelungener Abschluß des Tages. 
 

 
Fiftyseconds

Am letzten Tag hatten wir bis etwa Mittag Zeit noch etwas zu unternehmen. Obwohl wir dieses mal ein paar Ideen, die wir zuvor hatten, über den Haufen werfen mußten und dafür andere Dinge gesehen haben, sollte eines nicht fehlen, wenn wir schon so nahe dran waren. Campo de Ourique ist ein Viertel, das auch auf einer sogenannten Colina (Hügel) liegt und praktisch vor unserer Haustüre lag. Was also lag näher als uns dort mal umzuschauen? Wir hatten es zwar schonmal gestreift, aber so richtig Zeit genommen hatten wir uns damals nicht. Wenn man mal auf die Landkarte schaut, wird man sehen, dass es ähnlich wie die Baixa angeordnet ist, nämlich als Schachbrettmuster. Eines der ersten Gebäude, an dem wir vorbeiliefen, war das Haus in dem Fernando Pessoa die letzten 15 Jahre seines Lebens verbracht hat. Es ist heute ein Museum und ihm gewidmet. Dieser berühmteste Poet, der maßgeblich die moderne portugiesische Lyrik bestimmt, hat unter eigenem Namen zu Lebzeiten sogar nur ein Buch veröffentlich, nämlich "Mensagem" (Botschaft). Das er trotzdem weit über die Grenzen bekannt ist, liegt auch daran, dass er viele seiner Gedichte und Geschichten unter Heteronymen veröffentlich hat. Er hatte Dutzende, dieser fiktiven Personen, die jeder für sich einen eigenen Stil hatte.
Das schöne an Campo de Ourique ist ein erfreulich authentisch gebliebenes Viertel. Die Häuser sind entweder alt, oder fachgerecht restauriert. Es gibt praktisch keine Bausünden oder großen Stilbrüche und das meiste wirkt recht homogen. Das hat natürlich auch die Beliebtheit als Wohngebiet gesteigert und es haben sich auch viele schöne Läden und Gastrobetriebe angesiedelt. Das Publikum reicht von jung bis alt und man merkt sofort, dass die Identität mit der eigenen "Hood" recht groß ist. Seien es Plakate, die den Widerstand gegen die Veränderung des zentralen Parks "Jardim da Parada" verkünden, oder Aufrufe die Immobilienspekulation einzudämmen. 
 
 

 
Campo de Ourique

Den Mercado de Campo de Ourique hatte ich ja bereits erwähnt, aber es gibt noch andere schöne Orte. So z.b. das traditionelle Café "A Tentadora", das schon seit Jahrzehnten eine Institution am Anfang der Rua Ferreira Borges ist. Neueren Datums ist das "Raminhos Desserts", ein Restaurant, das nur Desserts serviert. Und so gibt es noch viele andere Lokale und Läden, die darauf warten auf einem Streifzug entdeckt zu werden.
Wir verabschiedeten uns von Lissabon an einem sonnigen und nicht zu heißen Tag. Ohnehin waren die Tage anders als gedacht. Sie waren wettertechnisch sehr erträglich gewesen, mit Temperaturen in den Hohen 20ern, und die Stadt hat sich nicht nur oben von der besten Seite gezeigt. Der überraschend "geringe" Verkehr und weniger als gedachte Touristen, taten ihr übriges. Aber das zeigt mir als "Griesgram" auch, dass es oft anders kommt als man denkt und wenn man tief stapelt, man hoch gewinnen kann.