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Freitag, 7. April 2023

Lissabon 2021 - Eine andere Welt

Die Geschichte beginnt mit viel Elend und zeigt auch Abgründe der Gesellschaft auf, die aus Mißverständnissen und der Chancenlosigkeit der Einen gegenüber den Anderen herrührt. Wie so oft wurden den Armen Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden konnten und im Endeffekt nur dazu gut waren, die Probleme aus dem eigenen Sichtfeld zu befördern. 
Wir befinden uns in Quinta do Mocho (Hof der Eule) nahe Lissabon, aber genauer im Landkreis Loures, wo es Teil der Stadt Sacavém ist. Uns hat die Freude an Streetart hierher gebracht und das sich dort die größte Konzentration an Murals (Wandgemälden) in Europa befindet, war für uns ein Grund mal vorbeizuschauen. 
Die Eule (Mocho) ist der Namensgeber, hier interpretiert von Charquipunk

Wir werden von Kalli, einem der Guides, an der Casa da Cultura Sacavém, empfangen. Ein junger Mann, der uns fragt ob wir die Tour auf portugiesisch oder englisch durchführen möchten und dann gleich hinterher schiebt, dass wir uns in ein "Problemviertel" begeben werden und sicherlich einiges zu sehen bekommen werden, dass wir möglicherweise nicht kennen oder erwarten würden. Aber mit ihm an der Seite sei das kein Problem und es sei auch schon viel schlimmer gewesen. 
Das Viertel existiert schon seit den 70er Jahren, als mit der Nelkenrevolution 1974 viele Menschen aus den ehemaligen Kolonien ihr Glück auf den Territorium der einstigen Besatzungsmacht suchten. Mit oftmals nichts als den Klamotten am Körper kamen sie und waren im Prinzip oft schlechter dran als zuvor. Denn in ihrer Heimat hatten sie wenigstens ein Dach über dem Kopf, was in Portugal oftmals nicht mehr als eine Blechhütte war. Das waren dann die sogenannten "Bairros da Lata" (Blechviertel), wie die Slums genannt wurden. Als das immer mehr zu einem Problem, als nur Ärgernis, wurde, musste gehandelt werden und es fanden immer wieder Räumungen und Umsiedlungen statt. Die "Quinta do Mocho", oder wie sie heute offiziell heisst: Terracos da Ponte, existiert in ihrer heutigen Form seit 2000, als nach und nach die Wohnblocks entstanden, die heute die Bühne für ein Fest der Farben sind.
 
Am Kulturhaus Sacavém
 
Im Kulturhaus Sacavém gab uns Kalli eine erste Einführung in das, was seit 2015 in der QdM passiert ist. Nachdem das Viertel nämlich entstanden war, und über 3000 Menschen, vornehmlich aus den afrikanischen Kolonien Mosambik, Angola, Sao Tome e Principe und Guinea, beherbergte, hatte man das Problem nicht gelöst, sondern isoliert. Es entstand ein Ghetto, dass so verrufen war, dass weder ein Bus in der Nähe hielt, noch Taxis sich hinein begaben. Vor nicht allzu langer Zeit sind vielleicht die bedeutendsten Werke entstanden, nämlich die Schilder mit Straßennamen. Nicht einmal dafür hatte es zuvor gereicht.
Eines der ersten Werke, an dem wir kurz hielten, war recht unscheinbar und auch kein Mural, aber die Männchen mit den übertrieben langen Gliedmaßen, gemalt von Maye , sollten uns noch diverse male auf unserem Rundgang begegnen. 

Das untere Werk entstand in einer Pause, 
wie Kalli uns erzählte.
Maye begann um den Ausfluss der Regenrinne, 
den Ghettoblaster zu malen, 
und der Rest kam dann dazu.
 
Die Murals entstanden hier erstmals 2014, als die Bewohner auf die Idee kamen etwas zu unternehmen um den Ruf des Viertels zu verbessern. So entstand die Initiative "O bairro i o mundo" (Das Viertel und die Welt), die im Rahmen des C4I Programms (Communication for Integration) der EU gegen Rassismus und Ausgrenzung, vorgestellt wurde und neben diversen kulturellen Veranstaltungen wie Speisen, Musik und Tanz auch die StreetArt beinhaltete. Es entstand daraus die Galeria de Arte Publica (GAP), die inzwischen über 100 Murals zählt und ein Selbstläufer ist, denn es entstehen immer mehr. 
 
Cuore Carolina Favale
 
Dabei erzählen sie oft die Geschichten der Bewohner, haben also einen Bezug zu deren Identität oder Alltag. So erfuhren wir, dass es früher schwierig war einen Job zu bekommen, wenn deine Adresse Quinta do Mocho war. Man konnte noch so gut und zuverlässig sein, aber das Stigma der Herkunft haftete an einem, was außerhalb dieses Mikrokosmos gar nicht relevant gewesen wäre.
So entwickelte sich neben den Erklärungen zu einzelnen Bildern ein angeregtes Gespräch, weil uns interessierte ob und was sich z.b. seit der medialen Aufmerksamkeit getan hatte. So ist z.B. das Werk "Take off your mask" des leider bereits verstorbenen Nomen eins, das den Nagel auf den Kopf trifft. Denn um draußen zu überleben, musste man eine Maske aufsetzen und seine Herkunft leugnen.
Zwar hat das Viertel seinen Schrecken verloren und auch ein stückweit den Anschluß an die Außenwelt geschafft, aber die sozialen Probleme und Ungerechtigkeiten existieren noch immer. So sind die Wohnungen recht einfach und deren Qualität niedrig. Viele der Gebäude sind in einem bedauerlichen Zustand. Heiß im Sommer und kalt im Winter. Auch gibt es noch immer das Problem hoher Arbeitslosigkeit und auch für die junge Generation ist es schwer in der Schule mitzukommen und später einen Job zu finden. 
So sagt der Künstler Joao Mauricio aka Violant über sein Mural: "Die Hautfarbe ist unwichtig. Innen sind wir alle gleich." Ähnlich ist auch das wundervolle Werk von Colectivo Licuado "A Uniao faz a forca" angesiedelt. MTO hat bei seinem Werk "Worker-Ghetto-Box" ein ganzes Haus in braun gestrichen und einem Postpaket nachempfunden. Es soll diejenigen symbolisieren, die aus Afrika "verschickt" wurden und irgendwo ankamen um dann einfach weiterverschickt zu werden, wenn sie dort nicht mehr gebraucht werden, und somit deren Leben auf den Kopf stellt (deshalb auch upside down). Eine Geschichte wie man sie von vielen Bewohnern dort erzählt bekommt. 
 
Rechts, das Werk von Violant

Colectivo Licuado

MTO
 
Künstler aus aller Welt finden nun auch den Weg hierher und so wie wir es erlebt haben, werden ihre Arbeiten überwiegend positiv aufgenommen. Viele von ihnen machen sich die Mühe auch etwas vom "Spirit" bzw der Lebensweise, die zugegeben recht einfach ist, mitzubekommen und versuchen ein Verständnis dafür zu entwickeln. Es gibt aber wohl auch welche, die einfach dorthin kommen, ihre Arbeit machen und dann wieder verschwinden, und dabei vergessen, dass sie es sind die in einen fremden Lebensraum eindringen und sich um Verständnis bemühen sollten. Nicht umgekehrt.
Aber auch andere Alltagsprobleme fanden Niederschlag auf den Hauswänden. Frauenrechte, Rechte von Tieren, Kindern und Natur... Die mexikanische Illustratorin Eva Bracamontes hat in ihrem Mural "Coracao de África" das Thema der Frau aufgegriffen und will damit auf die Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung der Frau aufmerksam machen. Bordalo II hingegen hat in seinen Werken meist die Natur und den Einfluß des Menschen im Vordergrund. Das liegt schon daran, dass er ein "Recyclingkünstler" ist. Seine Kunst besteht darin, aus menschlichem Abfall, Tiere zu konstruieren und sie im Großformat anzubringen. Damit hat er schon über 100 Tonnen Plastik, Bauschutt und anderen Müll einer neuen Bestimmung zugeführt. Sein Kranich findet sich in der Rua Pêro Escobar.

Eva Bracamontes
 

 Bordalo II
 
Während wir so durch die Straßen schlenderten, konnten wir ein wenig des Alltags erleben. Kalli wurde von vielen Bewohnern angesprochen und gegrüßt, und erzählte uns, dass er für diverse Nachbarn Arbeiten am Computer erledigte. Seien es Reparaturen an der Hardware oder aber mangels selbiger, war er Anlaufpunkt um online Dinge des täglichen Lebens für sie zu erledigen. Durchaus gut beschäftigt, hat er auf diese Art und Weise einen Platz in der Gesellschaft gefunden und gleichzeitig ist er auch ein wenig Anker für diejenigen, die ein wenig Orientierung brauchen um in der modernen Welt bestehen zu können. Die ehemalige "No-go Zone" hat somit, trotz der Schwierigkeiten die immernoch existieren, auch ganz alltägliche Abläufe und ein normales Leben.
Phantasie, Kunst und Liebe waren andere Themen, die sich an den Hauswänden wiederfanden. Oliveiros Junior, bekannt als Utopia, ist einer der Großen der Szene und hat viele Arbeiten über die Stadt verteilt. Wie sein Name vermuten lässt, entspringen viele seiner Motive der Phantasie. Diese zeigen oft Frauengesichter, die in einer farbenfrohen Umgebung eingebettet sind. Aber auch durch Kollaborationen mit Gleichgesinnten, wie Nomen oder Ram, zeigt er ein breites Spektrum seiner Schaffenskraft.
Jo di Bona aus Paris nennt seine Technik "Pop Graffiti", bei der er verschiedene Ebenen wie Kollagen anbringt. Auch er hat hier 2017 seine Spur hinterlassen. Ein weiterer Franzose, Astro ODV, hat das möglicherweise flächenmäßig größte Mural in QdM kreiert. Es ersteckt sich über drei Hauswände und erlangt dadurch einen verstärkten 3D Effekt. Seine, auf Kalligraphie und klassischen wildstyle Tags, basierenden Arbeiten verschlingt er derart elegant, dass fast unendliche Muster entstehen. 
 
Utopia

 Jo di Bona

Astro ODV
 
Leider kann ich in diesem kurzen Bericht nicht allen Künstlern gerecht werden, aber hier sind noch ein paar weitere Namen von beachtenswerten Künstlern, die sich dort verewigt haben: OzeArv, VhilsHazul, Abraham Osorio, Zag&Sia und viele andere.
 
Ein paar "schnelle" Skizzen von RAF, einem Tattookünstler.
Sein großes Mural befindet sich in QdM
 
Im Laufe des Besuchs kehrten wir auch in ein kleines afrikanisches Restaurant ein, wo wir eine Kleinigkeit aßen, ein paar Getränke nahmen und mit Kalli und ein paar Bewohnern ins Gespräch kamen. Ehrlich gesagt kam ich mir ein wenig vor wie ein Elendstourist, der durch sein Interesse für die Straßenkunst an Orte kommt, die nicht jeder besuchen würde. Aber wir bekamen schnell zu verstehen, dass es, trotz mancher mißtrauischer Blicke, gewünscht ist solche Besuche zu machen. Sie dienen dem Wohl der Communitiy und wertet die Umgebung auf. In Gegenwart von Kalli waren wir zwar trotzdem Aliens, aber wir wurden als Gäste akzeptiert, und ich habe wirklich die Hoffnung, dass unsere Anwesenheit und vieler anderer Besucher ein wenig zu Entmystifizierung dieses Viertels beiträgt.
 
"DAS ist das Viertel". Nicht ohne stolz steht das hier.
 
Wir haben jedenfalls den Eindruck gewonnen, dass durch die Initiative der Bewohner vor einigen Jahren der Wunsch nach Anschluß an die Gesellschaft besteht und es die Menschen von QdM verdient haben beachtet zu werden. Deswegen können wir unbedingt einen geführten! Rundgang empfehlen. Es hilft Vorurteile beiderseits abzubauen und ein kleiner Obolus ist hier sicherlich gut angelegtes Geld. Einmal im Monat gibt es eine durch die Stadtverwaltung organisierte Führung, aber wir hatten viel Spaß mit unserer Privataudienz, die nochmal ein Stück persönlicher war. Die Gastfreundschaft und Offenheit mit der Kalli uns begegnet ist, war toll und wir hoffen, dass das Projekt der Intergation dient und das Leben der Menschen in der Community verbessern kann. Wenn man den Bogen zurückschlägt, zum Beginn des Berichts, dann stimmt der Titel, von dem ich vorher das Gefühl hatte er wäre passend, eigentlich überhaupt nicht, denn eine andere Welt existiert nur durch die Vorurteile in unseren Köpfen.

Pokras Lampas
 
Buchungen für die privaten Touren können über die FB Seite der Guias do Mocho gemacht werden. Kontakt in Englisch ist problemlos möglich. 

 
Ein paar weiterführende Links:
 
 

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