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Freitag, 7. April 2023

Lissabon 2021 - Eine andere Welt

Die Geschichte beginnt mit viel Elend und zeigt auch Abgründe der Gesellschaft auf, die aus Mißverständnissen und der Chancenlosigkeit der Einen gegenüber den Anderen herrührt. Wie so oft wurden den Armen Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden konnten und im Endeffekt nur dazu gut waren, die Probleme aus dem eigenen Sichtfeld zu befördern. 
Wir befinden uns in Quinta do Mocho (Hof der Eule) nahe Lissabon, aber genauer im Landkreis Loures, wo es Teil der Stadt Sacavém ist. Uns hat die Freude an Streetart hierher gebracht und das sich dort die größte Konzentration an Murals (Wandgemälden) in Europa befindet, war für uns ein Grund mal vorbeizuschauen. 
Die Eule (Mocho) ist der Namensgeber, hier interpretiert von Charquipunk

Wir werden von Kalli, einem der Guides, an der Casa da Cultura Sacavém, empfangen. Ein junger Mann, der uns fragt ob wir die Tour auf portugiesisch oder englisch durchführen möchten und dann gleich hinterher schiebt, dass wir uns in ein "Problemviertel" begeben werden und sicherlich einiges zu sehen bekommen werden, dass wir möglicherweise nicht kennen oder erwarten würden. Aber mit ihm an der Seite sei das kein Problem und es sei auch schon viel schlimmer gewesen. 
Das Viertel existiert schon seit den 70er Jahren, als mit der Nelkenrevolution 1974 viele Menschen aus den ehemaligen Kolonien ihr Glück auf den Territorium der einstigen Besatzungsmacht suchten. Mit oftmals nichts als den Klamotten am Körper kamen sie und waren im Prinzip oft schlechter dran als zuvor. Denn in ihrer Heimat hatten sie wenigstens ein Dach über dem Kopf, was in Portugal oftmals nicht mehr als eine Blechhütte war. Das waren dann die sogenannten "Bairros da Lata" (Blechviertel), wie die Slums genannt wurden. Als das immer mehr zu einem Problem, als nur Ärgernis, wurde, musste gehandelt werden und es fanden immer wieder Räumungen und Umsiedlungen statt. Die "Quinta do Mocho", oder wie sie heute offiziell heisst: Terracos da Ponte, existiert in ihrer heutigen Form seit 2000, als nach und nach die Wohnblocks entstanden, die heute die Bühne für ein Fest der Farben sind.
 
Am Kulturhaus Sacavém
 
Im Kulturhaus Sacavém gab uns Kalli eine erste Einführung in das, was seit 2015 in der QdM passiert ist. Nachdem das Viertel nämlich entstanden war, und über 3000 Menschen, vornehmlich aus den afrikanischen Kolonien Mosambik, Angola, Sao Tome e Principe und Guinea, beherbergte, hatte man das Problem nicht gelöst, sondern isoliert. Es entstand ein Ghetto, dass so verrufen war, dass weder ein Bus in der Nähe hielt, noch Taxis sich hinein begaben. Vor nicht allzu langer Zeit sind vielleicht die bedeutendsten Werke entstanden, nämlich die Schilder mit Straßennamen. Nicht einmal dafür hatte es zuvor gereicht.
Eines der ersten Werke, an dem wir kurz hielten, war recht unscheinbar und auch kein Mural, aber die Männchen mit den übertrieben langen Gliedmaßen, gemalt von Maye , sollten uns noch diverse male auf unserem Rundgang begegnen. 

Das untere Werk entstand in einer Pause, 
wie Kalli uns erzählte.
Maye begann um den Ausfluss der Regenrinne, 
den Ghettoblaster zu malen, 
und der Rest kam dann dazu.
 
Die Murals entstanden hier erstmals 2014, als die Bewohner auf die Idee kamen etwas zu unternehmen um den Ruf des Viertels zu verbessern. So entstand die Initiative "O bairro i o mundo" (Das Viertel und die Welt), die im Rahmen des C4I Programms (Communication for Integration) der EU gegen Rassismus und Ausgrenzung, vorgestellt wurde und neben diversen kulturellen Veranstaltungen wie Speisen, Musik und Tanz auch die StreetArt beinhaltete. Es entstand daraus die Galeria de Arte Publica (GAP), die inzwischen über 100 Murals zählt und ein Selbstläufer ist, denn es entstehen immer mehr. 
 
Cuore Carolina Favale
 
Dabei erzählen sie oft die Geschichten der Bewohner, haben also einen Bezug zu deren Identität oder Alltag. So erfuhren wir, dass es früher schwierig war einen Job zu bekommen, wenn deine Adresse Quinta do Mocho war. Man konnte noch so gut und zuverlässig sein, aber das Stigma der Herkunft haftete an einem, was außerhalb dieses Mikrokosmos gar nicht relevant gewesen wäre.
So entwickelte sich neben den Erklärungen zu einzelnen Bildern ein angeregtes Gespräch, weil uns interessierte ob und was sich z.b. seit der medialen Aufmerksamkeit getan hatte. So ist z.B. das Werk "Take off your mask" des leider bereits verstorbenen Nomen eins, das den Nagel auf den Kopf trifft. Denn um draußen zu überleben, musste man eine Maske aufsetzen und seine Herkunft leugnen.
Zwar hat das Viertel seinen Schrecken verloren und auch ein stückweit den Anschluß an die Außenwelt geschafft, aber die sozialen Probleme und Ungerechtigkeiten existieren noch immer. So sind die Wohnungen recht einfach und deren Qualität niedrig. Viele der Gebäude sind in einem bedauerlichen Zustand. Heiß im Sommer und kalt im Winter. Auch gibt es noch immer das Problem hoher Arbeitslosigkeit und auch für die junge Generation ist es schwer in der Schule mitzukommen und später einen Job zu finden. 
So sagt der Künstler Joao Mauricio aka Violant über sein Mural: "Die Hautfarbe ist unwichtig. Innen sind wir alle gleich." Ähnlich ist auch das wundervolle Werk von Colectivo Licuado "A Uniao faz a forca" angesiedelt. MTO hat bei seinem Werk "Worker-Ghetto-Box" ein ganzes Haus in braun gestrichen und einem Postpaket nachempfunden. Es soll diejenigen symbolisieren, die aus Afrika "verschickt" wurden und irgendwo ankamen um dann einfach weiterverschickt zu werden, wenn sie dort nicht mehr gebraucht werden, und somit deren Leben auf den Kopf stellt (deshalb auch upside down). Eine Geschichte wie man sie von vielen Bewohnern dort erzählt bekommt. 
 
Rechts, das Werk von Violant

Colectivo Licuado

MTO
 
Künstler aus aller Welt finden nun auch den Weg hierher und so wie wir es erlebt haben, werden ihre Arbeiten überwiegend positiv aufgenommen. Viele von ihnen machen sich die Mühe auch etwas vom "Spirit" bzw der Lebensweise, die zugegeben recht einfach ist, mitzubekommen und versuchen ein Verständnis dafür zu entwickeln. Es gibt aber wohl auch welche, die einfach dorthin kommen, ihre Arbeit machen und dann wieder verschwinden, und dabei vergessen, dass sie es sind die in einen fremden Lebensraum eindringen und sich um Verständnis bemühen sollten. Nicht umgekehrt.
Aber auch andere Alltagsprobleme fanden Niederschlag auf den Hauswänden. Frauenrechte, Rechte von Tieren, Kindern und Natur... Die mexikanische Illustratorin Eva Bracamontes hat in ihrem Mural "Coracao de África" das Thema der Frau aufgegriffen und will damit auf die Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung der Frau aufmerksam machen. Bordalo II hingegen hat in seinen Werken meist die Natur und den Einfluß des Menschen im Vordergrund. Das liegt schon daran, dass er ein "Recyclingkünstler" ist. Seine Kunst besteht darin, aus menschlichem Abfall, Tiere zu konstruieren und sie im Großformat anzubringen. Damit hat er schon über 100 Tonnen Plastik, Bauschutt und anderen Müll einer neuen Bestimmung zugeführt. Sein Kranich findet sich in der Rua Pêro Escobar.

Eva Bracamontes
 

 Bordalo II
 
Während wir so durch die Straßen schlenderten, konnten wir ein wenig des Alltags erleben. Kalli wurde von vielen Bewohnern angesprochen und gegrüßt, und erzählte uns, dass er für diverse Nachbarn Arbeiten am Computer erledigte. Seien es Reparaturen an der Hardware oder aber mangels selbiger, war er Anlaufpunkt um online Dinge des täglichen Lebens für sie zu erledigen. Durchaus gut beschäftigt, hat er auf diese Art und Weise einen Platz in der Gesellschaft gefunden und gleichzeitig ist er auch ein wenig Anker für diejenigen, die ein wenig Orientierung brauchen um in der modernen Welt bestehen zu können. Die ehemalige "No-go Zone" hat somit, trotz der Schwierigkeiten die immernoch existieren, auch ganz alltägliche Abläufe und ein normales Leben.
Phantasie, Kunst und Liebe waren andere Themen, die sich an den Hauswänden wiederfanden. Oliveiros Junior, bekannt als Utopia, ist einer der Großen der Szene und hat viele Arbeiten über die Stadt verteilt. Wie sein Name vermuten lässt, entspringen viele seiner Motive der Phantasie. Diese zeigen oft Frauengesichter, die in einer farbenfrohen Umgebung eingebettet sind. Aber auch durch Kollaborationen mit Gleichgesinnten, wie Nomen oder Ram, zeigt er ein breites Spektrum seiner Schaffenskraft.
Jo di Bona aus Paris nennt seine Technik "Pop Graffiti", bei der er verschiedene Ebenen wie Kollagen anbringt. Auch er hat hier 2017 seine Spur hinterlassen. Ein weiterer Franzose, Astro ODV, hat das möglicherweise flächenmäßig größte Mural in QdM kreiert. Es ersteckt sich über drei Hauswände und erlangt dadurch einen verstärkten 3D Effekt. Seine, auf Kalligraphie und klassischen wildstyle Tags, basierenden Arbeiten verschlingt er derart elegant, dass fast unendliche Muster entstehen. 
 
Utopia

 Jo di Bona

Astro ODV
 
Leider kann ich in diesem kurzen Bericht nicht allen Künstlern gerecht werden, aber hier sind noch ein paar weitere Namen von beachtenswerten Künstlern, die sich dort verewigt haben: OzeArv, VhilsHazul, Abraham Osorio, Zag&Sia und viele andere.
 
Ein paar "schnelle" Skizzen von RAF, einem Tattookünstler.
Sein großes Mural befindet sich in QdM
 
Im Laufe des Besuchs kehrten wir auch in ein kleines afrikanisches Restaurant ein, wo wir eine Kleinigkeit aßen, ein paar Getränke nahmen und mit Kalli und ein paar Bewohnern ins Gespräch kamen. Ehrlich gesagt kam ich mir ein wenig vor wie ein Elendstourist, der durch sein Interesse für die Straßenkunst an Orte kommt, die nicht jeder besuchen würde. Aber wir bekamen schnell zu verstehen, dass es, trotz mancher mißtrauischer Blicke, gewünscht ist solche Besuche zu machen. Sie dienen dem Wohl der Communitiy und wertet die Umgebung auf. In Gegenwart von Kalli waren wir zwar trotzdem Aliens, aber wir wurden als Gäste akzeptiert, und ich habe wirklich die Hoffnung, dass unsere Anwesenheit und vieler anderer Besucher ein wenig zu Entmystifizierung dieses Viertels beiträgt.
 
"DAS ist das Viertel". Nicht ohne stolz steht das hier.
 
Wir haben jedenfalls den Eindruck gewonnen, dass durch die Initiative der Bewohner vor einigen Jahren der Wunsch nach Anschluß an die Gesellschaft besteht und es die Menschen von QdM verdient haben beachtet zu werden. Deswegen können wir unbedingt einen geführten! Rundgang empfehlen. Es hilft Vorurteile beiderseits abzubauen und ein kleiner Obolus ist hier sicherlich gut angelegtes Geld. Einmal im Monat gibt es eine durch die Stadtverwaltung organisierte Führung, aber wir hatten viel Spaß mit unserer Privataudienz, die nochmal ein Stück persönlicher war. Die Gastfreundschaft und Offenheit mit der Kalli uns begegnet ist, war toll und wir hoffen, dass das Projekt der Intergation dient und das Leben der Menschen in der Community verbessern kann. Wenn man den Bogen zurückschlägt, zum Beginn des Berichts, dann stimmt der Titel, von dem ich vorher das Gefühl hatte er wäre passend, eigentlich überhaupt nicht, denn eine andere Welt existiert nur durch die Vorurteile in unseren Köpfen.

Pokras Lampas
 
Buchungen für die privaten Touren können über die FB Seite der Guias do Mocho gemacht werden. Kontakt in Englisch ist problemlos möglich. 

 
Ein paar weiterführende Links:
 
 

Samstag, 18. September 2021

Lissabon 2021 - Lecker und mehr...


Wir waren mal wieder in Lissabon, wie sich unschwer erkennen lässt. Für uns ist es eben einer der schönsten Orte der Welt und immer wieder eine Reise wert. Nachdem es letztes Jahr nicht geklappt hatte, haben wir die Reise kurzerhand verlegt und sie, nach einer weiteren Umbuchung, antreten können.

In den letzten Jahren haben wir hier ja schon ein paar Eindrücke der Stadt gezeigt und vielleicht kommt in einem späteren Eintrag noch etwas von diesem Trip dazu, aber in diesem Post will ich erstmal auf einen anderen Aspekt eingehen, den wir dieses Jahr viel deutlicher wahrgenommen haben. Vielleicht liegt es ja am Alter. 

Ganz gut, aber es gibt noch soviel mehr

Lissabon ist nicht nur eine historische, kulturell wertvolle Stadt, sondern auch Melting Pot für Menschen aus aller Herren Länder, insbesondere der ehemaligen Kolonien. Diese Menschen bereichern die heimischen Traditionen und Gepflogenheiten mit den eigenen und sorgen für eine Vielfalt an Eindrücken, die auch durch die mitgebrachten Lebensweisen ergänzt werden. Man sagt so schön, dass Liebe durch den Magen geht, und auch zur Völkerveständigung leistet gutes Essen durchaus seinen Beitrag. Somit will ich ein wenig über die Gastronomie und unsere eigenen Eindrücke aus den Restaurants der Stadt erzählen.

Bevor wir in Urlaub fahren, pflegen wir unsere Hauptmahlzeiten (i.d.R. Abendessen) vorher zu buchen. Das hat sich bewährt, weil wir dadurch tagsüber nicht in Hektik geraten etwas für den Abend finden zu müssen und uns auf Wichtigeres konzentrieren können. Es hat auch einen weiteren Grund, nämlich den, dass man mit Vorlauf auch noch Plätze in  beliebten Restaurants bekommt, die kurzfristig eher unwahrscheinlich wären. Außerdem kochen wir gerne und auch ganz passabel, was uns eher neugierig auf das macht, was wir nicht hinbekommen würden. 

Also los geht`s. Was kennt man so an portugiesischen Spezialitäten? Bacalhau (Stockfisch)... Ok. Sardinen... Ja. Pasteis de Nata... sehr gut. Fangen wir mal mit letzterem an, weil es einem in Lissabon überall begegnet und inzwischen auch über die Landesgrenzen hinaus einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat. Die Pasteis de Nata heissen im Original "Pasteis de Belem" und wurden im 18Jh von den Mönchen des Hieronymusklosters erfunden. Später, im Jahr 1837 fing ein Konditor in einer nahegelegenen Bäckerei an, die Törtchen zu backen, nachdem er das Originalrezept von den Mönchen erworben hatte. Dies gilt noch heute als Betriebsgeheimnis und nur Wenige kennen es in Gänze. Die Bäckerei ist heute ein Touristenmagnet, aber auch bei den Einheimischen sehr beliebt. Die Törtchen selbst gibt es aber (nicht unter dem Originalnamen) praktisch überall und wenn man mal in Lissabon ist, sollte man sie probieren.

 
Am ersten Abend besuchten wir Joao Sá, einen hervorragenden Koch, in seinem Restaurant Sála. Dort wird eine saisonale Küche mit internationalen Einflüssen serviert, die er in diversen Küchen des Landes, aber auch im Ausland erlernt und verfeinert hat. Das Sála steht im portugiesischen für den Wohnbereich eines Hauses und hier soll man sich auch zu Hause fühlen. Dafür sorgte eine äußerst nette und kompetente Servicetruppe. Das Menü war nicht sonderlich umfangreich, hat uns aber sehr gut geschmeckt. Es basierte auf diversen Fischen und Meeresfrüchten von der heimischen Küste, die man auch immer wieder auf den lokalen Speisekarten findet. Modern interpretiert wurden sie z.b. durch Moqueca Soße, einer Spezialität aus Brasilien, oder Caril, einem Goa-Curry. Alles in allem eine sehr runde Geschichte und ein sehr guter Auftakt in Lissabon.
 
 
 
 

Was in Lissabon, und nicht nur dort, inzwischen eine ziemlicher Hype ist, und dabei fällt mir das Lied von Snap ein "Don`t believe the hype", ist gesundes Essen. Vor allem zum Frühstück bekommt man inzwischen oft in trendigen Cafés: Smoothies, Bowls, Avocadosandwiches usw. geboten. Dabei reichen die Zutaten von besagten Avocados, über Gojibeeren bis zu Acai oder noch exotischeren Wundermitteln für die bewusste Ernährung. Zugegeben, das Zeug schmeckt meist auch ziemlich gut und die Präsentation sind auch teilweise echte Kunstwerke. Manchmal ist aber auch eine einfache Stulle, oder dort eine "Sandes mit Fiambre und queijo" (Schinken und Käse) was Feines. 

 
 

Und da wären wir schon beim zweiten Abend und dem Attla. Ein Restaurant, das schon beim letzten Mal unsere Neugierde geweckt hatte. Hintergrund war der Chef, André Fernandes, der seine Sporen schon überall auf der Welt verdient hat, nämlich in diversen Ländern Europas, aber auch u.a. in Brasilien, Laos, Costa Rica und PNG. Zurück in seiner Heimat hat er das Attla eröffnet. Es ist eine Hommage an seine Wurzeln am Atlantik und die Welt, das durch das Wort Atlas abgeleitet wird. Hier serviert er internationale Kreationen mit Waren, die er fast ausschließlich von regionalen Zulieferern bekommt. Heraus kommen solche Sachen wie Dorade mit Kimchi aus roten Früchten,  gebratene Jungzwiebel mit Barrigoule Soße oder aber Kürbisravioli mit Thaibasilikumbutter und Paprikaöl... Alles basiert auf dem Konzept "Sharing is caring" und somit ist es zum gemeinsamen Verzehr aller Tischgäste gedacht. Was soll ich sagen? Wir haben uns in dieses Restaurant verliebt, denn solch intensive Aromen und dazu so gelungen komponiert findet man wenige. Leider ist die Lage nicht so zentral, was auch wir zu spüren bekamen, weil wegen der anstehenden Wahlen und einer Podiumsdiskussion der Kandidaten im Freien, der Verkehr umgeleitet werden musste. Wer aber den Weg dorthin findet, wird bestimmt nicht enttäuscht, wenn er eine gewisse Experimentierfreudigkeit mitbringt.

 
 

Anfang September ist es zwar noch etwas früh, aber wir haben sie schon gerochen: die ersten gebrannten Maronen. Wir waren etwas überrascht, denn normalerweise gibt es sie erst Ende September/ Anfang Oktober, aber scheinbar hat auch in diesem Business der Klimawandel seinen Einfluss und sie reifen früher. In den kommenden Wochen jedenfalls werden die Straßen wieder duften nach diesen Leckereien und an fast jeder Straßenecke werden die mobilen Verkäufer an ihren kleinen Öfen stehen und sie Tütchenweise verkaufen. Auch das gehört nämlich zu Portugal. 

Das Epur war für uns eigentlich nur ein "Nachrücker", weil ein anderes Restaurant uns kurzfristig abgesagt hatte. Jedoch wurden wir nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil. Mit seiner Lage am Rande des Chiado liegt es schon in einer fürstlichen Gegend. Beim Betreten des Restaurants kann man gleich einen Blick in die atemberaubend schöne Küche erhaschen und dem Maître zusehen bevor man, ein paar Schritte später, das eigentliche Highlight der Location, nämlich den unbezahlbaren Blick auf die Baixa und die Burg genießen kann. Vincent Farges ist ein französischer Koch, der schon seit Jahren in Portugal arbeitet. Zunächst war er Herr in der Fortaleza do Guincho und hat sich dort seinen ersten Stern erkocht, den er auch bis zu seinem Abgang 2017 hielt. In seinem eigenen Restaurant hat er sich der kulinarischen Annäherung von Portugal und Frankreich verdient gemacht. Seine Küche ist klar dem frankophilen Raum entsprungen, jedoch hat auch er fast nur regionalen Bezug von Zutaten und verquickt beide Küchen auch in einigen Gerichten zu sehr gelungenen Fusionen. So puristisch wie die Räume sind auch die Gerichte, die seine Handschrift tragen. Kleine Kunstwerke mit tollen Details und feinen Nuancen in den Geschmacksnoten. Auch der Service stand in nichts nach. Die Sonderwünsche wurden beachtet und das wir den gewünschten Fensterplatz bekamen, kann bei diesem Ausblick nicht hoch genug angerechnet werden.


 
 
 
 

Der Sommer ist heiss in Portugal. Dieses Jahr vielleicht nicht ganz so wie die Jahre zuvor, aber immernoch besser als hierzulande. Was passt also besser als ein Eis? In den vergangenen Jahren haben die Italiener Konkurrenz bekommen. Nicht nur beim Fußball, sondern auch beim Eis. Ja genau. Es haben sich einige Manufakturen hervorgetan, die mit wirklich leckerem Eis aus eigener Produktion aufwarten können. Neben dem landesweit bekannten Santini Eis, das auf den italienischen Einwanderer Attilio Santini zurückgeht, haben sich ein paar jüngere Semester der Herstellung des kühlenden Genusses verschrieben. Da wäre z.B. Pizpireto, das Eis am Stiel mit extrem hohem Fruchtgehalt anbietet, oder aber Colé, das ebenfalls Eis am Stiel produziert, bei dem aber große Fruchtstücke das Gesamtbild verschönern und noch dazu gut schmecken. 

Für das Wochenende hatten wir uns nichts besonderes vorgenommen und waren somit frei in unserer Entscheidung wohin wir gehen würden. Nach einem anstrengenden Tag auf dem Rad, hatten wir Lust auf Sushi und fingen genau damit an, weswegen wir normalerweise immer vorher buchen. Wir klapperten die Läden ab, die uns ansprachen. Aber da Corona auch bei den Touristenzahlen seine Spuren hinterlassen hat, dauerte es nicht lange bis wir fündig geworden waren und einen Platz bekamen. In der Nähe des Cais do Sodré liegt Confraria LX. In einem extrem stylischen Ambiente bekamen wir sehr gute Sushi serviert, die allerdings mehr auf der fancy Seite liegen, als auf der traditionellen. Die Kreationen waren optisch und qualitativ sehr gelungen, aber in unseren Augen zu Lachs und Thunfisch lastig. Es gab wenig anderen Fisch, was aber den Gesamteindruck nicht schmälern soll.

 
 

Cacilhas ist einer der Orte auf der anderen Uferseite des Tejo. Es ist der am einfachsten und schnellsten zu erreichende. Wir verbrachten einen Tag auf der anderen Seite und als wir am frühen Abend wieder übersetzen wollten, fragten wir uns was wir essen sollten. Da wir schon bei Ankunft die einfachen Fischrestaurants vollbesetzt gesehen hatten und noch immer der Geruch von gegrilltem Fisch in der Luft lag, entschieden wir uns spontan für einen portugiesischen Klassiker, nämlich Sardinen. Die Restaurants liegen direkt am Fährhafen, und die Preise für die Sardinen sind auch gleich. Wir ließen uns im "Estrela do Sul" nieder. Möglicherweise nicht die beste Wahl, wie wir gleich erfahren sollten, denn der Kellner war etwas pampig als wir zwei, drei Fragen zu den Beilagen stellten. Egal, für 5€ war es verschmerzbar und der Kollege am Grill verstand sein Handwerk. Der Fisch war lecker, die Kartoffeln auch und nach 20 Min waren wir auch schon wieder weg. Nächstes mal würde ich den "Farol" nebenan wählen. 

 

Wusstet ihr, dass Lissabon einer der besten Orte außerhalb Nepals ist, um die nepalesische Küche zu probieren? Das liegt daran, dass man für Portugal recht einfach ein Visa bekommt und viele Nepalesen davon gebrauch gemacht haben. Mit diesem Bleiberecht können sie nach 6 Jahren dann die portugiesische Staatsbürgerschaft erlangen und anschließend ggf. in andere Länder ziehen. Jedoch ist es so, dass viele sich inzwischen recht wohl fühlen, was an der gewachsenen Community von inzwischen über 20.000 (vor 2010 waren es keine 1000) und dem Klima und recht sicheren Lebensumständen liegt. Somit ist auch die Zahl der nepalesischen Restaurants in den letzten Jahren enorm gewachsen, wovon einige immer wieder auf lokalen Empfehlungslisten auftauchen.

Ein weiteres Restaurant, das wir besucht haben, ist das 100 Maneiras. Im portugiesischen ist der Name etwas zweideutig. Gelesen wie geschrieben, heisst es 100 Methoden bzw 100 Art und Weisen. Wenn man 100 spricht (cem) klingt das wie "sem". Wenn man also "sem maneiras" sagt, bezichtigt man seinen Gegenüber keine Manieren zu haben. Nach diesem kurzen Diskurs wären wir auch schon beim Grund dieses Wortspiels. Der Koch, Ljubomir Stanisic ist Bosnier und kam in den 90ern wegen der Liebe nach Portugal. Hier arbeitete er in einer Küche und entschloss sich irgenwann ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Das ging in die Hose und er musste um Hilfe bitten um wieder auf die Beine zu kommen. Das Thema Küche ließ ihn jedoch nicht mehr los und er versuchte sich, mit unterschiedlichem Erfolg in der Gastroszene. Im Jahr 2011 wurde er als einer der talentiertesten Köche des Landes (er spricht fließend Portugiesisch) in die Jury der Sendung "Masterchef" berufen und somit einem größeren Publikum bekannt. Von dort an ging es eigentlich stetig bergauf und er begann sein Imperium kontinuierlich auszubauen. Man kann ihn sich als einen portugiesischen Jamie Oliver oder Tim Mälzer vorstellen, der auch immer wieder in den Medien auftaucht. Letztes Jahr war er u.a. einer derjenigen, die vor dem Regierungspalast in einen mehrtägigen Hungerstreik trat um auf die Not der Gastronomie im Lande wegen der Coronamaßnahmen aufmerksam zu machen. 

 

Wir hatten das alte 100M schon vor einigen Jahren besucht und es hatte uns gut gefallen, auch wenn K damals gesundheitlich angeschlagen war. In diesem Jahr wurde das "beste Restaurant Lissabons ohne Stern" endlich mit dem langersehnten Etoile ausgezeichnet, was für uns, neben des Gesundheitsproblems damals,  auch Grund war unsere Aufwartung zu machen. Stark verändert präsentierte sich das 100 mit dunklen Wänden und gedimmter Beleuchtung. Alles extrem stylisch und passend zum Provokateur und Wirbelwind Stanisic. Auch das Menü, das ein wenig eine autobiografische Reise durch das Leben des Chefs ist, war phänomenal. Derb und filigran sind hier keine Widersprüche, sondern gewollte Kontraste, die sich auf den Tellern finden. Man bekommt grobe Wurst aus Bosnien genauso wie "Pinzettenkreationen" gleichermaßen. All das auf technisch perfektem Niveau und mit tollen Aromen, die einen komplett mit auf die Reise nehmen. 

 

Weitab der Touristenpfade, nämlich im Stadtteil Benfica, befindet sich eine lokale Institution. Das Edmundo. Es serviert klassische portugiesische Küche ohne großen Schnick Schnack, aber auf exzellentem Niveau. Wen es mal dorthin verschlägt, dem sei der Polvo (Tintenfisch) und der Arroz de Tamboril (Reistopf mit Seeteufel und Garnelen) ans Herz gelegt. Ein wirklich empfehlenswertes Restaurant mit top Qualität zu einem erschwinglichen Preis. 

Unser letztes "Abendmahl" hatten wir in einem unserer Lieblingsrestaurants. Warum das eines der Lieblingsrestaurants ist, erkläre ich gleich im Anschluß, aber warum es nicht nur großartig ist, sondern auch mehr zu bieten hat als den Service am Tisch, zeigte sich schon bei unserer Reservierung. Obwohl inzwischen ein paar Jahre seit unserem letzten Besuch vergangen waren, begrüßte man uns als wiederkehrende Gäste und bedankte sich für das entgegengebrachte Vertrauen. Da war das gute Gefühl doch gleich wieder da, so als würde man einen alten Freund besuchen.

Das Loco von Alexandre Silva verkörpert genau das, was wir uns von hochwertiger Küche erwarten. Saisonale Gerichte mit lokalen Zutaten. Das muß die Kreativität nicht einschränken wie man hier gezeigt bekommt. Man setzt hier konsequent auf beste Produkte mit großem Augenmerk auf faire Haltung bzw Wildfang und kreiert daraus auch Gerichte, die man sonst mitunuter anders kennt. Eine Besonderheit hier, gegenüber vielen anderen in der Stadt, ist die üppige Auswahl an nicht alkoholischen Getränken. Diese sind fast alle hausgemacht und schmecken vorzüglich. Das Restaurant mit dem Olivenbaum im Vorraum ist ein Highlight in der kulinarischen Welt Lissabons und unbedingt einen Besuch wert.

 

 

Ok, das war unser kulinarischer Streifzug durch die Stadt auf den sieben Hügeln. Wir hoffen es hat euch gefallen und war vielleicht sogar Inspiration für einen Besuch.


Dienstag, 31. Dezember 2019

Lissabon 2019 - Auf neuen Pfaden

Wer wie wir, mehrfach an Orte zurückkehrt und sie einfach so schätzt, dass er es auch in Zukunft immer wieder machen möchte, der wird irgendwann an einen Punkt gelangen, wo es darum geht, wieder Neues zu entdecken. In Ecken vorzustoßen, die man nicht kennt. Den Entdeckergeist wiederzufinden, der bei häufigen Besuchen, zugegebenermaßen, etwas verloren geht.
Für uns ist Lissabon so ein Ort. Wir kommen hier immer wieder gerne hin und fühlen uns auch sehr wohl. Wir verlaufen uns nicht und auch einen Stadtplan oder das Handy brauchen wir zum navigieren selten.



In den letzten Jahren kam der Wunsch wieder mal in neue Viertel zu gehen bzw. lange nicht mehr besuchte Orte wieder zu entdecken. Getrieben wurde der Wunsch auch davon, dass die Stadt inzwischen so voll ist, dass dieser verschlafene Charakter und die Leichtigkeit des Lebens dort etwas leidet. Das große Geschäft hat sich in den Jahren nach der großen Krise entwickelt und wurde noch zusätzlich befeuert, als nur noch wenige in den östlichen Mittelmeerraum reisen wollten. Im Innenstadtbereich findet eine Welle der Investitionen statt, die ein neues Zeitalter für die Metropole eingeläutet hat. Dadurch konnte viel der alten Bausubstanz, erhalten und restauriert werden. Einige Bereiche der Uferzone erstrahlen in den schönsten Pastellfarben, um sich mit dem Sonnenuntergang zu komplementieren. Dazu ist das Leben zurückgekehrt und es ist immer was los am Tejo.
Alles schön und gut, aber auch schon zig mal gesehen. Wir wollten mal in die zweite Reihe schauen und erfahren, was sich dort tut. Ein interessanter Bereich ist Intendente. Was vor einem Jahrzehnt noch als verrucht und nicht ungefährlich galt, wurde 2012 geräumt und konsequent auf Vordermann gebracht. Vor allem der Largo do Intendente mit seinem Eyecatcher an der Av Almirante Reis, dem im Jugendstil erbauten Hotel 1908. Aber auch die kleineren Gebäude im pombalinischen Stil, vor allem das Viuva Lamego Concept Store, sind einen genaueren Blick wert.


Intendente

Links und rechts der bedeutsamen Av Almirante Reis, die die Nord-Süd Achse von der Innenstadt zum Flughafen bildet, findet sich noch viel Lokalkolorit. Die kleinen Tante Emma Läden, Restaurants für die einfachen Leute und viele Geschäfte für den täglichen Bedarf existieren und bieten einen Einblick in die portugiesische Lebensweise des Alltags, wobei es doch recht international wirkt. Neben Einwanderern aus den ehemaligen Kolonien, gibt es hier (und in ganz Lissabon) eine wachsende Community Nepalesen. Das merkt man vor allem in den kleinen Supermärkten und der großen Auswahl an landestypischen Restaurants. Sie finden hier gute Arbeitsbedingungen und auch klimatisch ist vieles wie daheim. Somit ist Intendente und das angrenzende Graca Viertel, eine art multikulti Zone und Auffangbecken für Menschen aus aller Herren Länder, ohne die oftmals damit einhergehenden sozialen Probleme zu haben. Hier ist es vielmehr so, dass die Viertel recht homogen sind und wenn einer soziale Probleme hat, haben sie alle, und umgekehrt.
Wenn wir den Hügel zur rechten der Almirante Reis hochlaufen, kommen wir ins gutbürgerliche Graca Viertel. Hier hat sich auch einiges getan. Es gibt zwar noch die dunkel gekleideten, und gebückt laufenden, älteren Damen, aber eine Verjüngungskur ist auch hier in vollem Gange. Ich hatte ja bereits im vorangegangenen Post über Streetart berichtet, die auch in dieser Nachbarschaft immer gegenwärtiger wird, aber es entstehen hier viele kleine Startups. Seien es Co-work Plätze, Künstlerateliers oder vegane Cafés. Der Umbruch ist nicht mehr aufzuhalten und hoffentlich erfolgt er sachte und mit der nötigen Weitsicht.

Nossa Sra do Monte vom Hügel Sta. Ana aus gesehen

Nicht allzuweit entfernt liegt ein weniger bekannter Miradouro, nämlich Nossa Senhora do Monte. Er ist etwas nach hinten versetzt, man kann hier aber prima die beiden naheliegenden Aussichtspunkte Castelo und Miradouro da Graca sehen, und hat natürlich auch das volle Panorama über die Baixa und den Tejo mit der Almada auf der anderen Seite des Ufers.
Warum hat Lissabon eigentlich so viele Miradouros? Nunja, es ist recht einfach. Nicht nur Rom wurde auf 7 Hügeln erbaut, und man bewegt sich in Lissabon eigentlich ständig auf und zwischen ihnen. Von ihren Gipfeln bzw. Hängen hat man dann auch entsprechende Ausblicke.

Miradouro Nossa Sra do Monte

Was in diesen Vierteln an den Hängen ganz schön ist, sind die Treppen, die man immer wieder findet, um den Weg zu den Hauptstraßen abzukürzen. In der Nähe des o.g. Aussichtspunkts gibt es z.B. die Escadinhas Damasceno Monteiro, die ganz typisch sind. Man kann hier teilweise den Menschen auf den Esstisch schauen, oder einfach dabei beobachten, wie die Nachbarinnen den neusten Klatsch und Tratsch austauschen.

Escadinhas

Der Blick auf den gegenüberliegenden Hügel ist zu verlockend und nach Überquerung der Almirante Reis, befindet man sich wieder im Klettermodus. Entweder man lässt sich durch die pittoresken Gassen kreuz und quer treiben, oder wählt den direkten Weg zum höchsten Punkt. Dieser ist ein bedeutender Platz in der Geschichte der Stadt. Campo Mártires da Pátria wurde den Opfern des vermeintlichen Staatsstreichs von 1817, rund um den hochdekorierten und angesehenen General Gomes Freire de Andrade, gewidmet. Der Platz ist auch als Campo Santana bekannt und um ihn herum liegen einige bedeutsame Organisationen. So findet man dort, neben der deutschen Botschaft das Goethe Institut, sowie die medizinische Fakultät der Universität Lissabon. Heute finden sich im kleinen Garten freilaufende Hühner und Gänse, die dort inzwischen eine Attraktion sind.


Campo Mártires da Pátria

Wenn man in die Rua Julio de Andrade einbiegt, bekommt man einen Eindruck von der Bedeutsamkeit dieses Viertels. Hier reihen sich Stadtpaläste an Herrenhäuser und man kann nur erahnen welche vornehmen Leute dort lebten. Am Ende der kleinen Straße gelangt man an den ebenso wenig überlaufenen Jardim do Torel, der auch einen schönen Ausblick bietet.



Stadtpalais, Jardim do Torel und Elevador do Lavra

Etwas weiter gelangt man, inmitten von alten und hochmodernen Gebäuden der Universität, an die Haltestelle des Elevador do Lavra. Es ist die dritte Standseilbahn der Stadt, und die am wenigsten besuchte. Von hier kann man sich dann gemütlich wieder in den Trubel der Stadt stürzen. Sie endet in einer Parellelstraße der Avenida da Liberdade.


Miradouro do Monte Agúdo

Wenn wir uns wieder Intendente zuwenden, aber den Hügel in nördlicher Richtung erklimmen, gelangt man an einen weiteren, wenig bekannten Miradouro. Es handelt sich um den Aussichtspunkt Monte Agúdo, wo man, außer ein paar Spaziergänger mit ihren Hunden, eine gute Chance hat praktisch allein zu sein. Entlang der Rua Penha de Franca gelangt man zur gleichnamigen Kirche. Die Namensgebung geht auf den Ort einer Marienerscheinung in Spanien im 15.JH zurück. Das Gotteshaus selbst ist zwar groß aber von außen eher unscheinbar. Das ändert sich beim Betreten. Hier wird, wie so oft, nicht gekleckert. Aufwendige Malereien, Vergoldungen und wertvolle sakrale Objekte kann man hier sehen.

Penha de Franca

Vom Wasserturm um die Ecke hat man wieder einen schönen Ausblick, jedoch mit der Besonderheit, dass dieser nach Norden ausgerichtet ist, und nicht wie fast alle anderen, in südlicher Richtung.
Wenn man nun wieder den Hang hinab läuft, gelangt man in die Gemeinde Arroios. Direkt an der Av Almirante Reis liegt ein Klassiker der gutbürgerlichen Küche des Landes. Die Cervejaria Portugalia, die hier ihren Hauptsitz hat(te). Inzwischen gibt es mehrere Niederlassungen, aber hier fing alles an und wenn die Lisboetas von der Portugalia sprechen, kann man davon ausgehen, dass es um das Gründungshaus geht, sofern nicht anders benannt.
Wenn man aufmerksam geschaut hat, wird das große Brachgelände hinter dem Restaurant aufgefallen sein. Es handelt sich um das ehemalige Brauereigelände, das derzeit Mittelpunkt einer hitzigen Debatte ist. Mit den Plänen, es wieder nutzbar zu machen, kam das Projekt Portugalia Plaza auf den Tisch. Jedoch sieht es vor, dass hier zunächst ein 60m hoher Wohnturm errichtet werden sollte. Inzwischen ist man bei 49m, aber auch so noch immer etwa doppelt so hoch wie die umliegenden Gebäude. Es bleibt also spannend wie es damit weitergeht.
In der Nähe liegt das Hospital Dona Estefania, benannt nach der portugiesischen Königin D.Estefania de Hohenzollern-Sigmaringen. Hier wurde 1920 auch eines der drei Hirtenkinder interniert, das die Marienerscheinung in Fatima erlebt hatte. Maria soll dem Kind auch hier noch erschienen sein, bevor es an dieser Stelle verstarb.


Denkmal für Gomes-Freire gegenüber der Militärakademie

Wenn man dann links in die Rua D. Estefania einbiegt, gelangt man kurz darauf an die portugiesische Militärakademie. Von dort geht auch die Rua Gomes Freire ab... Schonmal gehört? Richtig, weiter oben. Wenn man der Straße weiter folgt, gelangt man an den Platz Campo Mártires da Patria.


Wenn man derzeit ortskundige Leute fragt, wohin man kann und wo man keinen Touristenhorden begegnet, könnte es sein, dass man in den Osten der Stadt geschickt wird. In den etwas heruntergekommenen Ostteil der Stadt zog es bisher nicht sonderlich viele, wenn man mal das alte Expo Gelände außen vor lässt. Wie schon die Pet Shop Boys das bessere Leben der West End Girls besangen, so ist es in Lissabon nicht anders. Eigentlich ist es überall so: das East End ist immer eine Hochburg der Arbeiterbevölkerung. Es wird vernachlässigt und erst wenn die Gentrifizierung die westlichen Stadtteile erfasst hat und in vollem Gang ist, belebt sich der Ostteil einer Stadt.
Uns zog es in das Gebiet zwischen Sta. Apolonia und dem Parque das Nacoes. In Xabregas, Beato und Marvila finden sich genau die Viertel, die Hipness ausstrahlen. Alte Industrieanlagen, Lagerhallen und Werkstätten entlang und jenseits der Av. Infante D. Henrique. Viele dieser Bauten sind schon seit Jahren dem Verfall preisgegeben, erfahren aber seit einigen Jahren mehr und mehr Aufmerksamkeit und Beachtung. Vor Jahren begann es in Xabregas, als die bekannte Kunständlerin Filomena Soares das Unmögliche wagte und in dieser völlig "unschicklichen" Gegend ihre Galerie eröffnete. Es dauerte nicht lange, bis andere wegweisende Künstler und Freidenker ihr folgten und den Osten eroberten. Besonders in Marvila um Poco do Bispo hat sich schon viel getan. Wer dort hinkommt wird auch schnell verstehen warum. Um den kleinen Park liegen atemberaubend schöne Bauten. Angefangen an der Kopfseite, mit dem ehemaligen Firmensitz José Domingos Barreiros, das Anfang des Jahres einen neuen Eigentümer fand. Rechts davon befinden sich die zwischen 1910 und 1917 erbauten Lagerhallen der Firma Abel Pereira da Fonseca mit seinen auffälligen runden Fenstern, hinter denen sich inzwischen angesagte Cafés und Restaurants verbergen. Wenn man allerdings mal um die Ecke schaut, wird man feststellen, dass das nicht alles sein kann, denn das Gebäude ist ca 100m lang. Es beherbergt außerdem einen modernen Coworking-Space.



Rund um Poco do Bispo

Zwei Straßen weiter findet man an der Rua Fábrica de Material de Guerra, die Fábrica do Braco de Prata. Nicht nur der Name der Straße lässt schon vermuten was einst hinter den Mauern verbarg, nämlich eine Waffen- und Munitionsfabrik. Heute ist sie ein Kunst- und Kulturzentrum, das einen Besuch lohnt.


Braco de Prata

Weiter entlang der Rua Fernando Palha findet man zwischen Werkstätten und Lagern, weitere Galerien, Cafés und Mikrobrauereien. An Essensgelegenheiten mangelt es nicht. Hinter den bereits genannten Mauern Abel Pereira findet man den Kaffeeröster Royal Rawness oder das Restaurant des Szenekochs Chakall. Gegenüber das nette Café com Calma. Selbst einer der besten Köche des Landes, Henrique Sá Pessoa, dessen Restaurant im Westen, Alma, wir sehr empfehlen können, hat dort ein Atelier.


Royal Rawness

Ohnehin ist diese Straße und weiter, die Rua do Acucar "the place to be". Es gibt dort Vintage- und Antiquitätenshops, wie das Cantinho do Vintage oder das Revivigi. Aber auch für die aktive Gesellschaft wird genug geboten. Parcours oder Capoeira ist auch möglich.

Revivigi

Zum Tejo hin entstehen nun Wohnungen für Besserverdiener mit unverbaubarem Blick auf das blau des Flusses. In die entgegengesetzte Richtung findet man hingegen Kontrastprogramm, denn an den Hängen befinden sich Hochhäuser des Sozialviertels von Marvila. Jedoch sind sie einen Besuch wert, wie ich im vorangegangenen Post beschrieben habe, denn wurden diese durch große Murals verschönert.

Marvila Murals

Es ist wieder einmal erstaunlich wieviel Neues man entdecken kann, wenn man nur will. Obwohl doch ziemlich vertraut, haben wir ganz andere Seiten kennenlernen dürfen, und ich muss sagen, dass es Lust auf mehr gemacht hat.