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Donnerstag, 22. Juni 2023

Bilbao und San Sebastian 2023 - Schlemmen und mehr (Viel mehr...)

Unser Ziel war das Baskenland. Sicherlich nicht eine Reiseregion der ersten Reihe, möglicherweise aber aufgrund genau dieser Tatsache weniger überlaufen als z.B. Florenz im letzten Jahr. Einen Grund für diese Annahme fand ich im Wetter. Ich hatte gelesen, dass die beiden größten Städte, unsere primären Ziele, mit 120 bzw 150 Regentagen im Jahr aufwarten konnten. Und ja, es kündigte sich ein durchaus verregneter Aufenthalt an, denn selbst am Vortag war für jeden der folgenden Tage Regen vorhergesagt.

Wieder einmal als Geburtstagsgeschenk gedacht, hatte ich es eigentlich schon letztes Jahr vorgehabt dorthin zu fahren, aber die Tatsache, dass es nur eine sinnvolle Flugverbindung gab, nämlich Bilbao, dabei aber beide Städte kombinieren zu wollen und dafür einen Mietwagen zu benötigen, ließ mich zunächst davon abkommen. Aber irgendwie gibt es Dinge, die einen nicht ganz loslassen und im Hinterkopf rumspuken. Der Antrieb war im Endeffekt einerseits eine abwechslungsreiche Kultur und Landschaft, andererseits aber auch die vielgerühmte Küche der Region. Etwas, das wir in den letzten Jahren, seitdem wir auch selbst mehr kochen, sehr zu schätzen gelernt haben.

 
 
Meine Schwester und Familie waren am gleichen Tag auch geflogen, und zwar mit einer Billigairline zu einem Überseeziel. Im Vorfeld waren wir ein wenig besorgt weil die Bewertungen von Wizz sehr durchwachsen waren und man schöne Schauderstories gelesen hat. So z.b. auch über stundenlange Verspätungen usw. Nur waren sie schon pünktlich abgeflogen, während wir noch am Gate für einen Flug der Premiumairline LH saßen und schon über eine Std Verspätung hatten. Vielleicht ist es an der Zeit für eine Schauderstory in einem der einschlägigen Foren? 
 

Das Mietauto gab es nicht am Airport, sondern in einem nahegelegenen Industriegebiet, wo sich einige Vermieter der 2. Reihe angesiedelt haben. Dafür waren die Autos deutlich günstiger als bei den etablierten Vermietern am Flughafen. Die Fahrt nach Bilbao dauerte ca 15-20Min und wir hatten die vorher ausgesuchte Tiefgarage auch schnell gefunden.

Da waren wir nun...
 
Das Bilder Boutique Hotel liegt am Eingang zur Altstadt und war unsere Bleibe für die kommenden Tage. Ich hatte es ausgesucht, weil es etwa die Hälfte der anderen kostete, aber sehr ansprechend aussah und brandneu war, als ich es buchte. Warum es so günstig ist, wurde recht schnell klar, denn es hat kaum Personal, kein Frühstück oder sonstigen Schnickschnack. Zimmer, eine Person am Empfang bis 23h und Roomservice. Aber das empfinde ich nicht als störend oder gar als K.O. Kriterium. Wir bekamen erstmal ein Upgrade auf die JS und das Zimmer war schlicht, aber sehr schön. Dazu noch sehr gepflegt und unter dem Dach. Kleine Besonderheit ist, dass es nur Dachfenster hat und man nicht nach draußen schauen kann, aber dafür hört man genug von den Fiedlern und Straßenmusikanten...
 
Unser Zimmer

Wir haben die Stunden bis zum ersten Dinner für einen kleinen Spaziergang durch den Casco Viejo und entlang des Ufers des Nérvion genutzt. Soll ich was sagen? Die Stadt hat uns gleich gefallen. Richtig charmant und wunderschön war das was wir gesehen haben. Viel traditionelle Architektur mit kleinen Balkonen wie auf den Kanaren und Südspanien, aber auch eine Prise alpinen Einfluß. Dazu viele kleine Geschäfte und Cafés. Eine teilweise breite Uferpromenade mit Menschen, die dem ganzen Stadtbild Leben einhauchten. Schön war auch zu erleben, dass die Stadt nicht voller Touris war, sondern doch überwiegend Spanier unterwegs waren. Es war nicht so, dass wir keine Erwartungen hatten, aber der erste Eindruck war schon sehr gut. 
 



 

 
Ein paar Eindrücke aus Bilbao

Für das erste Essen hatten wir das Mina ausgesucht. Ein schönes Lokal mit einem Menu, das ein wenig an die lokale Pintxokultur erinnert. Man hat die Wahl zwischen 10 oder 14 kleinen Gängen, es ist aber alles eine ganze Ecke ausgefeilter und spielt auch mehr mit Texturen und ungewöhnlichen Kombinationen, als die kleinen Leckereien in den Bars. Nicht alles hat uns völlig überzeugt, und Kathrin fand die Fischgänge versalzen, aber alles in allem war es ein gutes Erlebnis mit sehr gutem Service.
 

 

Das Mina
 
Am folgenden Tag stand S.Sebastian (oder wie es auf Baskisch heisst: Donostia) auf dem Programm. Wir hofften auf gutes Wetter, denn die Vorhersage beinhaltete ein wenig von allem. Wolken, Sonne und Regen. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde und obwohl wir nur Autobahn fuhren, fiel uns die atemberaubend schöne Landschaft auf. Kindheitserinnerungen wurden bei mir wach, denn wenn wir früher mit den Eltern in den Süden fuhren, war das oft Teil unserer Strecke gewesen. Schon als Kind drückte ich meine Nase am Autofenster platt und schaute die Berge hinauf während ich mich fragte warum es nur in dieser Ecke so grün war. Die anderen Regionen Spaniens waren meist verdorrt. Für mich war es immer eine schöne Abwechslung gewesen diese Landschaft zu sehen, und während wir so unsere Blicke schweifen ließen, empfand ich Nostalgie.
Obwohl Kathrin ein Parkhaus ausgesucht hatte, verfehlten wir es und irrten ein wenig durch eine ziemlich volle Stadt. Was wir aber schon sehen konnten, war dass diese Stadt einiges zu bieten hatte. Am Ende wählten wir das erstbeste Parkhaus und das lag sogar recht nah am Strand. 
 
 
La Concha

Wir also los, und es grüßte die Sonne vom blauen Himmel. San Sebastian verfügt über einen Stadtstrand, La Concha (Muschel) genannt, der sich im weiten Bogen erstreckt und an beiden Enden von je einem Hügel eingefasst wird, was ihm eine fast unnatürliche Symmetrie verleiht. Dies und meine kindliche Frage über das Klima, waren wohl schon vor über hundert Jahren Grund für die Königin Maria Christina, San Sebastian zu ihrem Sommersitz zu erklären. Aber dazu gleich mehr.
Wir liefen in den Hafenbereich und entlang des Hügels Urgull. Ständig neue Blickachsen und Panoramen die sich eröffneten, begeisterten uns immer wieder aufs Neue. 
 

 

 

So ein Stadtstrand hat schon was. Alles war fußläufig erreichbar
 
Im Anschluß liefen wir in die Altstadt, die völlig überlaufen von Franzosen war. Ok, die Grenze ist keine 50Km entfernt, aber es hatte einen weiteren Grund für die hohe Dichte (nicht nur nummerisch) der Gallier. An jenem Tag fand das Halbfinale der französischen Rugbymeisterschaft dort statt. Die Lager konnte man gut an den unterschiedlichen Leibchen ausmachen. Aus Toulouse, aber auch aus La Rochelle und Paris kamen sie und machten sich lautstark bemerkbar.
 
Regen und Sonne... Aber geregnet hat es nur kurz
 
In der Altstadt steuerten wir erstmal eine Pintxobar an. Pintxos sind sowas wie Tapas, nur schöner und besser. Teilweise kleine Kunstwerke, die man auf dem Teller serviert bekommt und das in einer enormen Vielfalt. Von Gambas, Bacalao, Pulpo(salat), über Jamon- und Chorizovariationen war alles dabei. Das war wirklich ein Highlight und wir konnten verstehen warum sie ein stückweit als Botschafter dieser Region dienen.
 
 
Pintxos in einer typischen Bar
 
Wir schlenderten durch die Altstadt, und wenn uns Bilbao am Vortag schon gut gefallen hat, sollten wir hier aus dem Staunen kaum mehr rauskommen. Centro schließt sich an den Casco Viejo an und hier erlebt man Donostia vom Feinsten. Als Urlaubsort der königlichichen Familie, und vor allem der Königin Maria Christina die schon Ende des 19. Jh hierher kam, siedelte sich im Zuge dessen viel Bourgoisie und Geldadel an. Die Häuser in diesem Bereich sind atemberaubend schön und zeugen von der Geschichte des mondänen Badeorts. Wenn man dann noch die Uferpromenade dazu nimmt, fühlt man sich an die Côte d'Azur erinnert, nur schöner. 
 


Wir waren völlig begeistert und das ganze bei strahlendem Sonnenschein und vielleicht 5 Min Regen, die wir über den ganzen Tag hatten. Das Wetter hier ist ohnehin ziemlich wechselhaft und den Wetterbericht konnten wir im Nachhinein getrost als Kontraindikator verwenden. Obwohl es jeden Tag regnen sollte, hat es das bestenfalls ein paar Minuten getan. Dafür waren die Temperaturen trotz Sonnenschein eigentlich immer sehr erträglich. Um die 25°C und eine leichte Brise machten das Herumlaufen zum Vergnügen. Aber das Wetter kann sich auch schnell ändern, wie wir auch erlebt haben. 
Die Zeit verging wie im Fluge, auch weil wir einer völligen Reizüberflutung erlegen waren. Es war einer jener Orte, die man ohne große Erwartungen besucht und völlig hineingerissen wird. So empfanden wir das.
 

 
 
Ein paar Eindrücke aus Donostia-San Sebastian
 
Für unseren Besuch im Arzak mussten wir uns etwas einfallen lassen um passend gekleidet aufzutreten. Wir hatten schon im Vorfeld überlegt, wie und wo wir uns frisch machen und umziehen könnten, es aber am Ende auf den Zufall ankommen lassen. Duschen wäre zwar am Strand möglich gewesen, aber wir hatten was besseres entdeckt. Im Parkhaus gab es eine geräumige Toilette, die man mit dem Parkschein benutzen konnte. Das taten wir auch und damit war klar, wo und wie wir uns stadtfein machen sollten. Wir also dorthin und gewaschen, Pfadfinderdusche und umgezogen... Fertig waren wir für ein gediegenes Abendessen. Und gediegen war es... Naja, nicht ganz, denn wenn man sich einige Gäste ansah, hätte man meinen können, sie wären zu einem Snack in einer Fischerpinte am Hafen gegangen. Weisses T-Shirt mit weißen Socken, die Mädels teilweise im übertrieben kurzen Mini mit Ganzkörpertattoos gut sichtbar.... "Schön" war auch der junge Mann mit undefinierbarer Frisur (Kathrin klärte mich auf, dass es sich um einen "Messi-Bun" handelte), der mit seinem Bedürfnis gar nicht groß hinter dem Berg hielt und dem Kellner direkt sagte, dass er mal pinkeln muß. Ok, scheinbar bin ich zu alt für die neuen Sitten...
Das Essen aber war ein Knaller und die Chefin persönlich kam an jeden Tisch um zu plaudern... Was sie sich wohl gedacht hat? Und das ohne die Miene zu verziehen! Elena Arzak ist die Grande Dame der spanischen Küche, die das Vermächtnis ihres Vaters bereits seit vielen Jahren weiterführt und die höchsten Weihen der Kritiker hält. Juan Mari, der Vater, war einer der Begründer der Neuen Baskischen Küche. Es war in etwa eine solche kulinarische Revolution wie mit der Molekularküche oder der Nordischen Küche Anfang dieses Jahrtausends. Die Kreativität, die wir schon mittags mit den Pintxos erlebt hatten, wurde hier in Vollendung fortgeführt. Eine tadellose, ideenreiche und hocharomatische Küche, die wir probieren durften.
 


Das Arzak
 
Während ich in der ersten Nacht, aufgrund der Dachfenster, nicht wirklich lange schlafen konnte, hatte ich in der zweiten Nacht doch noch eine Schlafmaske aufgetrieben. Somit konnte ich bis ca 8h schlafen. Nach dem Aufstehen (Kathrin schlief noch), checkte ich den Wetterbericht, der immer wieder Regen vorhersagte. Als ich das Plissée hochschob, lachte mich jedoch die Sonne vom blauen Himmel an und so beschloß ich auf einen schnellen Fotostreifzug zu gehen.  
 
 

Morgens in Bilbao
 
Es war gegen 9h und noch recht ruhig. Die ersten Läden machten grade auf und das Licht war noch schön. Ich machte einen kurzen Spaziergang durch das Casco Viejo und habe dabei noch ein Cafe fürs Frühstück entdeckt.
An diesem Tag blieb es auch bei einem kleinen Snack, denn wir hatten mal für Mittags einen Tisch. Hintergrund war, dass dieses Restaurant schön gelegen ist und auch über eine Außenanlage verfügt, die man besser am Tag als Abends genießen kann.
 
 


Haben Sie Bilbao schonmal bei Tag gesehen?
 
Das Azurmendi ist, soweit möglich, voll auf erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit und Vermeidung von Verschwendung ausgerichtet. Es liegt wunderbar in den baskischen Bergen und ist ein lichtdurchflutetes Gesamtkonzept. Das Erlebnis Azurmendi beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Essen, sondern spricht alle Sinne an. 
 
 
Azurmendi
 
Das haben wohl wieder einige zum Anlaß genommen ihren Sinnen freien Lauf zu lassen. Nicht nur mit kurze Hosen warteten zwei Herren auf, auch wieder das "kleine Weiße" beim Mann war vertreten, oder es wurde auch mal ein Teller abgeleckt... Und als ich meinte schon alles gesehen zu haben, erblickte ich eine Dame, die barfuß durch das Resto schwebte... Ich meine, das Restaurant hat keinen wirklichen Dresscode, aber es gehört zu den besten der Welt, und da kann man doch ein wenig "Dress to impress" praktizieren, oder?
 

Egal, das Essen jedenfalls war top und der Besuch dürfte unvergesslich bleiben. Man erlebt verschiedene Stationen. Neben einem Pic-Nic zu Beginn, geht es dann in der Küche weiter, bevor es in den "Garten" geht und um dann am Tisch zu landen und den Reigen zu starten. Auch hier gab sich der Herr des Hauses die Ehre und begrüßte seine Gäste. Eneko Atxa stellte sich dabei als zurückhaltender aber sehr freundlicher Gastgeber heraus, mit dem wir am Ende doch ein paar Minuten plaudern konnten. Wenn ich eben noch von Gesamtkonzept sprach, so will ich den Garten und den kleinen Showroom nicht unerwähnt lassen. Dort wird erklärt wie das Azrumendi in Zusammenarbeit mit der Uni z.b. Samenbanken mit lokalen und gefährdeten Pflanzen aufgebaut bzw führt. 

 

 
Wir hatten hinterher noch Zeit für einen Bummel durch Bilbao und schlenderten entlang des Rio Nérvion und durch das Zentrum. Guggenheim war die erste Anlaufstelle, die auch den Wendepunkt in der Geschichte der Stadt darstellt. Von Schwerindustrie zum Tourismushotspot... In den späten 80er Jahren lag die Schwerindustrie und der Bergbau am Boden und die Stadt kämpfte mit Arbeitslosig- und Perspektivlosigkeit. Als man die verwegene Idee mit dem Museum in die Tat umsetzte wußte keiner so recht was man erwarten durfte. Heraus kam eine Wende um 180°. Seitdem hat die Stadt sich von einer Arbeiterstadt zu einer modernen (Dienstleistungs)Metropole gewandelt und ist heute, mit ihren städtebaulichen Innovationen, Vorbild für viele andere Städte, die versuchen die Lebensqualität für ihre Bürger zu verbessern.
 
 


Nachdem wir das Guggenheim hinter uns gelassen hatten und noch etwas entlang des Rio Nérvion gelaufen waren, kam mir noch eine Idee. Auf seinem Weg zur Mündung mäandert er sich durch die Vororte der Stadt, die noch immer Zeugnis davon ablegen wo die Geschichte und Identität der Region liegt. Der Aufstieg begann mit den Funden von Eisenerz im ausgehenden 19. Jh und dem Abbau bzw Verarbeitung und Transport von ihnen. Während Bilbao den Sprung ins 21. Jh geschafft hat, ist dieses Suburbia noch von der Arbeiterklasse geprägt. Wohnblöcke und viel architektonischer Einheitsbrei erstrecken sich entlang des Flusses. Die alten Docks und Lagerhallen sieht man auch teilweise noch. Aber hier findet sich auch ein technisches Highlight, das inzwischen eine Attraktion ist. Die Puente de Vizcaya, ist eine von nur einem guten Dutzend Schwebebrücken auf der Welt. Sie verbindet die beiden Ufer von Portugalete und Getxo miteinander und man kann mit ihr fahren oder sie auch per pedes überqueren. Jedenfalls haben wir auch die Zeit genutzt mal raus zu fahren und dieses Objekt der Ingenieurskunst live zu erleben. 
 

Puente de Vizcaya
 
Eine Schwebebrücke (aka Schwebefähre) ist keine Brücke im herkömmlichen Sinn, sondern eine Brücke, an der ein Gefährt hängt, dass die Last transportiert. Ein wenig so wie eine Seilbahn, bloß kürzer. Die Puente de Vizcaya ist von den existierenden, mit 130 Jahren, die älteste und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe.
 

Der Abflugtag begann erstmal mit Regen. Das erste mal, dass der Wetterbericht richtig lag. Nichts wildes, aber es nieselte eine Weile und so kam Plan B zum tragen. Wir waren ja, trotz einiger falscher Vorhersagen, vorbereitet um bei schlechtem Wetter nicht doof da zu stehen. Nach dem Frühstück und dem genehmigten late check out, hatten wir Zeit für zwei Museen. Erstes sollte eines werden, das die Seele der Stadt stark widerspiegelt. Das Museum des Atletic Club Bilbao in seinem neuen Stadion ist wirklich einen Besuch wert. Als Fußballfan haben mich die Präsentation und die damit verbundene Vermittlung des Fangefühls und die Devotionalien voll abgeholt. Es war emotional, modern und würdigte die Menschen, die diesen Club zu dem gemacht haben, was er heute ist. Eine schöne Hommage und sympatisch dazu.
 
 

Das Herz von Atletic Bilbao
 
Das zweite Museum war leider zu. Es wäre das Museum Vasco gewesen, das der Region und ihren Menschen gewidmet ist. Da auch das Wetter besser wurde entschlossen wir uns deshalb, erstmal etwas zu essen. Und was liegt näher als ein paar Pintxos? Der Pintxo Hotspot liegt an der Plaza Nueva, wo es diverse Bars mit den kleinen Köstlichkeiten gibt. In der Bar Iturriza fanden wir einen Platz und genossen die etwas anderen Pintxos. Verglichen mit denjenigen aus S.S. sind diese etwas weniger variantenreich und überwiegend auf Baguette platziert, aber nicht weniger lecker.
 
Noch mehr Pintxos
 
Die baskische Küche haben wir somit sowohl als einfache wie auch Hochküche kennenlernen dürfen. Beides war extrem lecker, vielfältig und kreativ. Nicht ohne Grund genießt sie in der Welt der Kulinarik einen ausgezeichneten Ruf, den wir jetzt auch erleben durften.
Hinterher haben wir noch einen Streifzug durch die Altstadt gemacht, die inzwischen gut gefüllt war. Familien und Sonntagsbummler nutzten die freie Zeit um sich zu treffen und sie gemeinsam zu verbringen.
 
 

 
Für Bilbao gilt das gleiche wie für Donostia. Man sollte den Blick immer mal nach oben richten, denn die Hausfassaden sind wirklich einen Blick wert. Die ganzen kleinen Balkone verleihen der Stadt etwas urgemütliches und einladendes. Es ist als könne man am Leben der Bewohner teilhaben und umgekehrt. Wir jedefalls waren begeistert, und wenn man in Donostia eher das mondäne und elitäre verspürt, ist es in Bilbao eher das bürgerliche und einfachere.
 


Wir verließen Bilbao, und vorher auch San Sebastian, mit einem Gefühl mehr als positiv überrascht worden zu sein. Im Vorfeld haben wir uns zwar ein wenig informiert über das was uns erwarten würde, aber was wir erlebt haben, war weit jenseits dessen, was das Internet oder Reiseführer vermitteln konnten. Obwohl die Städte doch recht verschieden sind, haben sie beide ihren eigenen Charme. Es war eine der Überraschungen, die man getrost als unverhofft und gelungen bezeichnen kann. 
 

Freitag, 7. April 2023

Lissabon 2021 - Eine andere Welt

Die Geschichte beginnt mit viel Elend und zeigt auch Abgründe der Gesellschaft auf, die aus Mißverständnissen und der Chancenlosigkeit der Einen gegenüber den Anderen herrührt. Wie so oft wurden den Armen Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden konnten und im Endeffekt nur dazu gut waren, die Probleme aus dem eigenen Sichtfeld zu befördern. 
Wir befinden uns in Quinta do Mocho (Hof der Eule) nahe Lissabon, aber genauer im Landkreis Loures, wo es Teil der Stadt Sacavém ist. Uns hat die Freude an Streetart hierher gebracht und das sich dort die größte Konzentration an Murals (Wandgemälden) in Europa befindet, war für uns ein Grund mal vorbeizuschauen. 
Die Eule (Mocho) ist der Namensgeber, hier interpretiert von Charquipunk

Wir werden von Kalli, einem der Guides, an der Casa da Cultura Sacavém, empfangen. Ein junger Mann, der uns fragt ob wir die Tour auf portugiesisch oder englisch durchführen möchten und dann gleich hinterher schiebt, dass wir uns in ein "Problemviertel" begeben werden und sicherlich einiges zu sehen bekommen werden, dass wir möglicherweise nicht kennen oder erwarten würden. Aber mit ihm an der Seite sei das kein Problem und es sei auch schon viel schlimmer gewesen. 
Das Viertel existiert schon seit den 70er Jahren, als mit der Nelkenrevolution 1974 viele Menschen aus den ehemaligen Kolonien ihr Glück auf den Territorium der einstigen Besatzungsmacht suchten. Mit oftmals nichts als den Klamotten am Körper kamen sie und waren im Prinzip oft schlechter dran als zuvor. Denn in ihrer Heimat hatten sie wenigstens ein Dach über dem Kopf, was in Portugal oftmals nicht mehr als eine Blechhütte war. Das waren dann die sogenannten "Bairros da Lata" (Blechviertel), wie die Slums genannt wurden. Als das immer mehr zu einem Problem, als nur Ärgernis, wurde, musste gehandelt werden und es fanden immer wieder Räumungen und Umsiedlungen statt. Die "Quinta do Mocho", oder wie sie heute offiziell heisst: Terracos da Ponte, existiert in ihrer heutigen Form seit 2000, als nach und nach die Wohnblocks entstanden, die heute die Bühne für ein Fest der Farben sind.
 
Am Kulturhaus Sacavém
 
Im Kulturhaus Sacavém gab uns Kalli eine erste Einführung in das, was seit 2015 in der QdM passiert ist. Nachdem das Viertel nämlich entstanden war, und über 3000 Menschen, vornehmlich aus den afrikanischen Kolonien Mosambik, Angola, Sao Tome e Principe und Guinea, beherbergte, hatte man das Problem nicht gelöst, sondern isoliert. Es entstand ein Ghetto, dass so verrufen war, dass weder ein Bus in der Nähe hielt, noch Taxis sich hinein begaben. Vor nicht allzu langer Zeit sind vielleicht die bedeutendsten Werke entstanden, nämlich die Schilder mit Straßennamen. Nicht einmal dafür hatte es zuvor gereicht.
Eines der ersten Werke, an dem wir kurz hielten, war recht unscheinbar und auch kein Mural, aber die Männchen mit den übertrieben langen Gliedmaßen, gemalt von Maye , sollten uns noch diverse male auf unserem Rundgang begegnen. 

Das untere Werk entstand in einer Pause, 
wie Kalli uns erzählte.
Maye begann um den Ausfluss der Regenrinne, 
den Ghettoblaster zu malen, 
und der Rest kam dann dazu.
 
Die Murals entstanden hier erstmals 2014, als die Bewohner auf die Idee kamen etwas zu unternehmen um den Ruf des Viertels zu verbessern. So entstand die Initiative "O bairro i o mundo" (Das Viertel und die Welt), die im Rahmen des C4I Programms (Communication for Integration) der EU gegen Rassismus und Ausgrenzung, vorgestellt wurde und neben diversen kulturellen Veranstaltungen wie Speisen, Musik und Tanz auch die StreetArt beinhaltete. Es entstand daraus die Galeria de Arte Publica (GAP), die inzwischen über 100 Murals zählt und ein Selbstläufer ist, denn es entstehen immer mehr. 
 
Cuore Carolina Favale
 
Dabei erzählen sie oft die Geschichten der Bewohner, haben also einen Bezug zu deren Identität oder Alltag. So erfuhren wir, dass es früher schwierig war einen Job zu bekommen, wenn deine Adresse Quinta do Mocho war. Man konnte noch so gut und zuverlässig sein, aber das Stigma der Herkunft haftete an einem, was außerhalb dieses Mikrokosmos gar nicht relevant gewesen wäre.
So entwickelte sich neben den Erklärungen zu einzelnen Bildern ein angeregtes Gespräch, weil uns interessierte ob und was sich z.b. seit der medialen Aufmerksamkeit getan hatte. So ist z.B. das Werk "Take off your mask" des leider bereits verstorbenen Nomen eins, das den Nagel auf den Kopf trifft. Denn um draußen zu überleben, musste man eine Maske aufsetzen und seine Herkunft leugnen.
Zwar hat das Viertel seinen Schrecken verloren und auch ein stückweit den Anschluß an die Außenwelt geschafft, aber die sozialen Probleme und Ungerechtigkeiten existieren noch immer. So sind die Wohnungen recht einfach und deren Qualität niedrig. Viele der Gebäude sind in einem bedauerlichen Zustand. Heiß im Sommer und kalt im Winter. Auch gibt es noch immer das Problem hoher Arbeitslosigkeit und auch für die junge Generation ist es schwer in der Schule mitzukommen und später einen Job zu finden. 
So sagt der Künstler Joao Mauricio aka Violant über sein Mural: "Die Hautfarbe ist unwichtig. Innen sind wir alle gleich." Ähnlich ist auch das wundervolle Werk von Colectivo Licuado "A Uniao faz a forca" angesiedelt. MTO hat bei seinem Werk "Worker-Ghetto-Box" ein ganzes Haus in braun gestrichen und einem Postpaket nachempfunden. Es soll diejenigen symbolisieren, die aus Afrika "verschickt" wurden und irgendwo ankamen um dann einfach weiterverschickt zu werden, wenn sie dort nicht mehr gebraucht werden, und somit deren Leben auf den Kopf stellt (deshalb auch upside down). Eine Geschichte wie man sie von vielen Bewohnern dort erzählt bekommt. 
 
Rechts, das Werk von Violant

Colectivo Licuado

MTO
 
Künstler aus aller Welt finden nun auch den Weg hierher und so wie wir es erlebt haben, werden ihre Arbeiten überwiegend positiv aufgenommen. Viele von ihnen machen sich die Mühe auch etwas vom "Spirit" bzw der Lebensweise, die zugegeben recht einfach ist, mitzubekommen und versuchen ein Verständnis dafür zu entwickeln. Es gibt aber wohl auch welche, die einfach dorthin kommen, ihre Arbeit machen und dann wieder verschwinden, und dabei vergessen, dass sie es sind die in einen fremden Lebensraum eindringen und sich um Verständnis bemühen sollten. Nicht umgekehrt.
Aber auch andere Alltagsprobleme fanden Niederschlag auf den Hauswänden. Frauenrechte, Rechte von Tieren, Kindern und Natur... Die mexikanische Illustratorin Eva Bracamontes hat in ihrem Mural "Coracao de África" das Thema der Frau aufgegriffen und will damit auf die Gleichberechtigung und gegen die Unterdrückung der Frau aufmerksam machen. Bordalo II hingegen hat in seinen Werken meist die Natur und den Einfluß des Menschen im Vordergrund. Das liegt schon daran, dass er ein "Recyclingkünstler" ist. Seine Kunst besteht darin, aus menschlichem Abfall, Tiere zu konstruieren und sie im Großformat anzubringen. Damit hat er schon über 100 Tonnen Plastik, Bauschutt und anderen Müll einer neuen Bestimmung zugeführt. Sein Kranich findet sich in der Rua Pêro Escobar.

Eva Bracamontes
 

 Bordalo II
 
Während wir so durch die Straßen schlenderten, konnten wir ein wenig des Alltags erleben. Kalli wurde von vielen Bewohnern angesprochen und gegrüßt, und erzählte uns, dass er für diverse Nachbarn Arbeiten am Computer erledigte. Seien es Reparaturen an der Hardware oder aber mangels selbiger, war er Anlaufpunkt um online Dinge des täglichen Lebens für sie zu erledigen. Durchaus gut beschäftigt, hat er auf diese Art und Weise einen Platz in der Gesellschaft gefunden und gleichzeitig ist er auch ein wenig Anker für diejenigen, die ein wenig Orientierung brauchen um in der modernen Welt bestehen zu können. Die ehemalige "No-go Zone" hat somit, trotz der Schwierigkeiten die immernoch existieren, auch ganz alltägliche Abläufe und ein normales Leben.
Phantasie, Kunst und Liebe waren andere Themen, die sich an den Hauswänden wiederfanden. Oliveiros Junior, bekannt als Utopia, ist einer der Großen der Szene und hat viele Arbeiten über die Stadt verteilt. Wie sein Name vermuten lässt, entspringen viele seiner Motive der Phantasie. Diese zeigen oft Frauengesichter, die in einer farbenfrohen Umgebung eingebettet sind. Aber auch durch Kollaborationen mit Gleichgesinnten, wie Nomen oder Ram, zeigt er ein breites Spektrum seiner Schaffenskraft.
Jo di Bona aus Paris nennt seine Technik "Pop Graffiti", bei der er verschiedene Ebenen wie Kollagen anbringt. Auch er hat hier 2017 seine Spur hinterlassen. Ein weiterer Franzose, Astro ODV, hat das möglicherweise flächenmäßig größte Mural in QdM kreiert. Es ersteckt sich über drei Hauswände und erlangt dadurch einen verstärkten 3D Effekt. Seine, auf Kalligraphie und klassischen wildstyle Tags, basierenden Arbeiten verschlingt er derart elegant, dass fast unendliche Muster entstehen. 
 
Utopia

 Jo di Bona

Astro ODV
 
Leider kann ich in diesem kurzen Bericht nicht allen Künstlern gerecht werden, aber hier sind noch ein paar weitere Namen von beachtenswerten Künstlern, die sich dort verewigt haben: OzeArv, VhilsHazul, Abraham Osorio, Zag&Sia und viele andere.
 
Ein paar "schnelle" Skizzen von RAF, einem Tattookünstler.
Sein großes Mural befindet sich in QdM
 
Im Laufe des Besuchs kehrten wir auch in ein kleines afrikanisches Restaurant ein, wo wir eine Kleinigkeit aßen, ein paar Getränke nahmen und mit Kalli und ein paar Bewohnern ins Gespräch kamen. Ehrlich gesagt kam ich mir ein wenig vor wie ein Elendstourist, der durch sein Interesse für die Straßenkunst an Orte kommt, die nicht jeder besuchen würde. Aber wir bekamen schnell zu verstehen, dass es, trotz mancher mißtrauischer Blicke, gewünscht ist solche Besuche zu machen. Sie dienen dem Wohl der Communitiy und wertet die Umgebung auf. In Gegenwart von Kalli waren wir zwar trotzdem Aliens, aber wir wurden als Gäste akzeptiert, und ich habe wirklich die Hoffnung, dass unsere Anwesenheit und vieler anderer Besucher ein wenig zu Entmystifizierung dieses Viertels beiträgt.
 
"DAS ist das Viertel". Nicht ohne stolz steht das hier.
 
Wir haben jedenfalls den Eindruck gewonnen, dass durch die Initiative der Bewohner vor einigen Jahren der Wunsch nach Anschluß an die Gesellschaft besteht und es die Menschen von QdM verdient haben beachtet zu werden. Deswegen können wir unbedingt einen geführten! Rundgang empfehlen. Es hilft Vorurteile beiderseits abzubauen und ein kleiner Obolus ist hier sicherlich gut angelegtes Geld. Einmal im Monat gibt es eine durch die Stadtverwaltung organisierte Führung, aber wir hatten viel Spaß mit unserer Privataudienz, die nochmal ein Stück persönlicher war. Die Gastfreundschaft und Offenheit mit der Kalli uns begegnet ist, war toll und wir hoffen, dass das Projekt der Intergation dient und das Leben der Menschen in der Community verbessern kann. Wenn man den Bogen zurückschlägt, zum Beginn des Berichts, dann stimmt der Titel, von dem ich vorher das Gefühl hatte er wäre passend, eigentlich überhaupt nicht, denn eine andere Welt existiert nur durch die Vorurteile in unseren Köpfen.

Pokras Lampas
 
Buchungen für die privaten Touren können über die FB Seite der Guias do Mocho gemacht werden. Kontakt in Englisch ist problemlos möglich. 

 
Ein paar weiterführende Links: